Wir ist ein schönes Wort, aber doch mit Vorsicht zu genießen

Verhältnisse zum Tanzen bringen

von Pumuckl Eder

Als mich die aaa-Redaktion gefragt hat, ob ich für die nächste Ausgabe einen Beitrag schreiben könnte, tat sie das mit folgenden Worten:

    "Unter den vielen Menschen, denen wir in der Auseinandersetzung um Atomanlagen begegnet sind, waren etliche, die damit - so wie wir - die Vorstellung verbunden haben, dadurch zu einer grundlegenden Veränderung beizutragen. Es ging in Gorleben nicht nur um Gorleben, in Wackersdorf nicht nur um Wackersdorf und in Wyhl nicht nur um Wyhl; es sollte ein Kampf für das ganz andere Ganze sein...
    ... Nämlich die Hoffnungen und die Einsicht in die dringende Notwendigkeit, mit den herrschenden Strukturen imperialer Lebensweise zu brechen und ein solidarisches Zusammenleben zu entwickeln...
    ... Sind das Stichpunkte, mit denen Du etwas anfangen kannst? Vielleicht magst Du Dir ja tatsächlich in einem aaa-Beitrag Gedanken darüber machen: wie das damals war; was daraus geworden ist; was daraus werden müsste."

Ich will´s versuchen... Reisen wir also zurück in die späten Siebziger- und den Anfang der Achtzigerjahre.

Das war für mich und bestimmt auch für viele andere eine Zeit des Aufbruchs und des Widerstands gegen die Zwänge, denen wir ausgesetzt waren. Zehntausende gingen damals auf die Straße. Nicht nur gegen geplante AKW-Standorte (Kalkar, Grohnde, Brokdorf, Gorleben, Wackersdorf...) sondern auch gegen die atomare Aufrüstung der BRD (Stationierung von Pershing II Raketen), gegen den Ausbau des Frankfurter Flughafens (Startbahn West), gegen die Unterstützung der imperialistischen Politik der USA durch die BRD-Regierung (Haig-Besuch in Berlin), für bezahlbaren Wohnraum und zur Unterstützung besetzter Häuser (nicht nur in den Metropolen, sondern auch in kleineren Städten überall in der BRD)... Außerdem war das auch die Zeit, in der an allen Ecken und Enden Versuche der Selbst­organisation stattfanden durch die Gründung von Kommunen und Kollektiven...

Was ich damit sagen will ist: wir hatten das Gefühl und den Eindruck, vieles und viele sind in Bewegung. Wir dachten und empfanden es so: "Eure Vorstellungen vom Leben sind nicht unsere. Eure Gesetze, eure Moral interessieren uns nicht, wir nehmen unser Leben selbst in die Hand."

Die Atomkraft wurde damals noch gesehen als DIE Energie der Zukunft. Sauber, sicher, billig. Es existierten Pläne für zig Standorte von AKWs in der Bundesrepublik, und dazu sollte selbstverständlich auch eine Wiederaufarbeitungsanlage kommen. Diese Vorstellungen der Herrschenden waren ein zentrales Projekt für den Industriestandort BRD.

Das waren kurz zusammengefasst die Rahmenbedingungen, unter denen "wir" in der anti-AKW-Bewegung agierten. Uns verband die Erkenntnis, dass die Missstände und Projekte der Herrschenden, gegen die wir kämpften, alle gemeinsame Ursachen hatten: Das menschenverachtende kapitalistische Wirtschaftssystem, Rassismus und Sexismus. Zugegeben, das war damals keine neue Erkenntnis, genauso wenig wie heute. Richtig war und ist sie trotzdem.

Wir verstanden unseren Kampf damals als einen, der sich gegen ein zentrales Element – Atomkraft – des herrschenden kapitalistischen Systems der BRD richtete. Diesen Gedanken haben wir versucht, in zahllosen Diskussionen, auf vielen Bündnistreffen, in Redebeiträgen auf Demos, in der aaa und durch viele gemeinsamen Aktionen immer wieder einzubringen, und so gehofft, dass dadurch noch viel mehr Menschen verstehen, um was es eigentlich geht: Eine grundsätzliche Veränderung der herrschenden Verhältnisse. Diesen Kampf wollten wir nicht isoliert führen, sondern gemeinsam mit anderen Kämpfen, die in anderen Teilbereichen stattfanden, in der BRD und weltweit. Nur so, so glaubten wir, könnten wir gemeinsam und solidarisch unseren Teil auf dem Weg zur (und jetzt benutzte ich dieses Wort) Revolution beitragen.

    Was daraus geworden ist?

Für den Kampf der gesamten Anti-AKW-Bewegung lässt sich wohl sagen: Gewonnen. Allerdings nur in Bezug darauf, dass der Ausstieg aus dieser Technologie wohl stattfindet.

Diese "Zukunftstechnologie" geriet schon mit Tschernobyl ins Wanken. Mit dem Aus von Wackersdorf waren die großen Pläne der Herrschenden damit hinfällig und mit Fukushima folgte das Ende. An dieser Entwicklung hatte die gesamte anti-AKW-Bewegung einen großen Anteil.

Es gab die Vorstellung, der Kampf gegen die WAA wäre deshalb so entscheidend, weil er ein Kampf gegen einen zentralen Punkt des herrschenden Wirtschaftssystems sei, für dessen Pläne der Ausbau der Atomindustrie wesentlich und für deren Fortbestand unverzichtbar sei. Dann überraschte uns die Wirtschaft und sagte: "wir können auch anders", gab Wackersdorf auf und investierte in LaHague. Dann ist das erledigt, sagten einige bisher höchst aktive Mitstreiter*innen an dieser Stelle, zogen sich aus der anti-Atom-Bewegung zurück und wandten sich anderen Themen zu. Ich sah das anders.

Wir haben trotzdem weitergemacht. Uns ging es immer ja auch darum, Menschen davon zu überzeugen, dass es nicht genügt, nur gegen den Bau eines AKWs oder eines Endlagers oder gegen Atomtransporte anzugehen. Sondern, dass mensch sich dabei immer die Fragen beantworten sollte, wem nützt das, warum geschieht das gegen den Willen so vieler Menschen? Und mit den Antworten, die wir auf diese Fragen anzubieten hatten, ist es sicher einfacher, bei denen "anzukommen", die sich schon im Widerspruch zu den herrschenden Verhältnissen befinden. Dachten wir.

Ich könnte jetzt noch auf die Gründung der Grünen Anfang der 80er eingehen, die uns weismachen wollten, dass unser Kampf auch in den Parlamenten zu führen wäre. Als selbsternannter parlamentarischer Arm der außerparlamentarischen Opposition. Dieser Ansatz war damals falsch, ist es heute und wird es auch bleiben. Wohin dieser Weg führt, hat die Geschichte zur Genüge gezeigt.

Unsere Vorstellung davon, all die damals (und heute auch noch) existierenden sogenannten Teilbereichsbewegungen zusammen zu bringen und letztendlich einen gemeinsamen Kampf gegen das herrschende System zu führen, hat so nicht stattgefunden. Ich sehe nicht, dass wir heute auch nur einen Schritt weiter wären als vor 40 Jahren. Wenn mensch jetzt von mir erwartet, eine Begründung dafür zu liefern, muss ich leider sagen: kann ich nicht. Was ich hab, sind Fragezeichen

Welche Schritte wären notwendig gewesen um weiter zu kommen, um zu mehr gemeinsamen Handeln zu kommen? Ist oder wäre dafür eine andere "Organisationsform" notwendig gewesen? Waren wir zu blauäugig, getragen von der Aufbruchsstimmung, die herrschte, zu glauben, wir könnten dieses System ins Wanken bringen? Doch ne Antwort: Ja

Etwas, was mir beim Nachdenken und Schreiben aufgefallen ist: Das kleine Wörtchen "Wir". Immer wenn ich es hier geschrieben hab, fragte ich mich gleich: wen meine ich denn damit. Meine engeren Freund*innen und die Gruppe in der ich lange Zeit politisch zuhause war? Die Menschen, die mit mir die gleiche Überzeugung von der Notwendigkeit einer grundsätzlichen Veränderung der herrschenden Verhältnisse teilen? (So hab ich es meist im Text verwendet). Die gesamte anti-AKW-Bewegung?

Wir ist ein schönes Wort, aber doch mit Vorsicht zu genießen, da es manchmal den Blick auf Unterschiede verstellt.

Trotz allem, eines ist für mich richtig gewesen, ist es immer noch und wird es auch bleiben:
Nur gemeinsam und solidarisch haben wir überhaupt eine Chance die Verhältnisse zum Tanzen zu bringen und sie letztendlich zu überwinden... irgendwann.@

 

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