Schade, dass Beton nicht brennt

Gebärstreik gegen Atomenergie

von Sibylle Plogstedt

Die Filmemacherin Sabine Zurmühl schickte mir kürzlich ihren Filmbeitrag "Außer Männern haben wir nichts zu verlier‘n" aus der ARD-Serie "Unerhört! Die Geschichte über die Frauenbewegung". In ihrer Folge ging es auch um unsere Berliner Frauenzeitung Courage, die wir einst gemeinsam gegründet haben. Beim Anschauen der Szenen aus dem Jahr 1980 war ich überrascht: Ich sehe mich in einem Zelt stehen und eine Rede halten. Einen spontanen Beitrag über den Gebärstreik, mit dem Frauen der Nachrüstung und dem zunehmenden Ausbau der Atomenergie entgegentreten sollten.

Zwei ganze Jahre lang - so die Dystopie - sollte sich als Mahnung vor der tödlichen Gefahr eine Delle in die Geburtenzahl eingraben. Ein Jahr lang sollten in den Kindergärten und Kinderläden keine neuen Kinder kommen. Im Folgejahr dann eine Klasse in der Grundschule fehlen, danach in der Oberschule, an den Universitäten, und last and not least in der Bundeswehr. Frauen sollten aufhören, "Komplizinnen der männlichen Ausbeutung der Erde" zu sein, so die französischen Erfinderinnen dieser Widerstandsform, die ich in dem Film zitierte. In Deutschland sollte der Gebärstreik eine Antwort sein auf den Parteitag der SPD aus dem Jahr 1979, der gerade ein "Ja zur Kernenergie" beschlossen hatte.

Ein beziehungsweise zwei Jahre. Doch nach dem Beginn des Gebärstreiks hörten viele Frauen einfach nicht mehr auf mit ihrem Streik. Jahrelang, manche sogar Jahrzehntelang. Hatte etwa jemand damals vergessen, das Ende des Streiks zu verkünden? Oder war die Unzufriedenheit der Frauen so groß, dass sie einfach nicht mehr aufhören wollten zu kämpfen? Die Gorlebenfrauen hatten dagegen das Ende mitbekommen. Nach dem einem Jahr Pause seien viele von ihnen schwanger gewesen, erzählte Margarete Albers.

Als Courage-Frauen haben wir den Widerstand im Wendland genau verfolgt. Einige von uns Redakteurinnen hatten Ende der 70er Jahre ein Haus in Plate gemietet. Die Courage, die zu dieser Zeit bereits eine Auflage von etwa 70.000 Exemplaren hatte, war einst sogar im Ferienhaus von Pfarrer Carnap in Pisselberg erdacht worden. So haben wir denn auch gemeinsam mit den Gorlebenfrauen zu einem Ostertreffen der Frauen im Wendland aufgerufen. "Frauen kämpfen für das Leben", stand auf den Plakaten. Wenige riefen und alle kamen. Plötzlich waren 5.000 Frauen aus allen Teilen der Bundesrepublik da. Fünfzig Frauen aus Berlin bildeten ab der Grenze in Büchen einen Fahrradtreck bis nach Gorleben. Wahrscheinlich bis zu den Wieses in Gedelitz, denn dort war wohl das Camp. Das Treffen fand statt knapp sechs Wochen vor der geplanten spektakulären Platzbesetzung der Bohrstelle 1004 am 15. Mai 1980. Und die Frauen gingen voran.

Und weil das Frauentreffen zu Ostern war, wurden nicht nur die Kirchenglocken geläutet, sondern auch tausende von Osterglocken gesetzt. Auf dem von Uta Goetz entworfenem Plakat läuteten sie den Widerstand ein. Aufgerufen haben damals Lilo Wollny, Rose Fenselau und Rebecca Harms.

Am Ostersamstag 1980 verteilten sich die Frauen von Gorleben aus dezentral auf die Dörfer, schrieb Christa Müller, Redakteurin der Courage und Mitbewohnerin unserer Ferien-WG. So radelte sie von Arbeitsgruppe zu Arbeitsgruppe, von Dorf zu Dorf. Die Gruppe "Atombewaffnung und friedliche Nutzung der Kernenergie" tagte in Lüchow, in Gorleben stand das Thema "Psychische und physische Schäden durch Atomanlagen" an, Frauen aus Lingen berichteten über eine Zunahme von Leukämie. In Liepe erzählten Frauen aus dem Landkreis, wie sich ihr Leben durch die neue Bedrohung bereits verändert hatte.

Vorstellungen vom "richtigen" Widerstand gab es zu Hauf. Während aus München die Idee kam, dass alle Frauen ihre Energie gemeinsam über die Mauer der Bohrstelle schicken sollten, zogen andere handfeste Vorschläge vor. Da ging es ums Energiesparen im Haushalt, um das Senken der Heiztemperaturen und dass das Ablaufen von Badewasser aus der Wanne erst erfolgen sollte, wenn das Wasser kalt war, um die vorhandene Wärme im Raum zu nutzen. Auch alte Kochrezepte wurden wiederbelebt: Das Fertigkochen von Kartoffeln und Gemüse unter der Bettdecke, so wie einst in den Kochmaschinen, kleinen Holzkisten, die mit Papier gepolstert waren. Auch vom Einkauf ohne Verpackung war bereits die Rede. Ich selbst habe damals mein erstes Hügelbeet gebaut. Die Vorlage hing noch jahrelang an meiner Pinwand.

Samstag Abend: Osterfeuer und nach 22 h ein Marsch mit Taschenlampen zur Bohrstelle 1003. 800 Frauen waren laut EJz beim nächtlichen Marsch, 2-3000 nach der Schätzung der Courage-Redakteurin. Blechbüchsen mit Stöcken wurden verteilt für ein ohrenbetäubendes Trommelkonzert. Büchsen flogen und wurden zurückgeworfen. Und Farbbeutel. Auf die Mauer schrieb eine: "Schade, dass Beton nicht brennt." Laut Ejz wurden einige Frauen sogar rabiat, wenn Männer in ihre Nähe kamen. Nach einer Stunde kamen dann aber Wasserwerfer, die gegen die Frauen vorgingen. Vor Wut begannen einige Zaunpfähle einzureißen. Als dann auch noch zehn Mannschaftswagen kamen, traten die Frauen den Rückzug an.

Am nächsten Morgen eine Kundgebung. Während der Berichte saßen die Teilnehmerinnen auf Strohballen oder standen am Würstchentresen. "Beim Gorleben-Lied ließen wir bunte Luftballons in den Himmel steigen. An jedem Luftballon ist eine Postkarte befestigt, und sie soll von den Finderinnen und Findern ausgefüllt zurückgeschickt werden", schrieb unsere Courage-Redakteurin, "denn bei einem atomaren Unfall werden kleinste radioaktive Schadstoffe so weit reisen wie diese Ballons." Mindestens.

Eines hat das Treffen bewirkt: Zwei Richtungen der Frauenbewegung haben sich durch die gemeinsame Aktion aufeinander zubewegt. Die BI und Gorleben-Frauen wurden etwas feministischer und die Feministinnen etwas ökologischer. Dass Frauen im Gorlebenwiderstand eine so große Rolle spielten, ist mit diesem Treffen sichtbar geworden.

Und dass der Widerstand solch ein Erfolg wurde,
lag wohl vor allem an der gleichen Teilhabe von Frauen. @

 

- zurück




      anti-atom-aktuell.de