Kalkar:
Vor 30 Jahren (21.03.1991) wurde der Schnelle Brüter beerdigt


Der Schnelle Brüter
und die Geschichte des Widerstands


Mit dem Brutreaktor Kalkar, der statt Uran das Ultragift Plutonium zur Stromerzeugung nutzen sollte, wollte Deutschland unabhängiger von Uranimporten werden. Das AKW wurde trotz massiver Proteste 1985 fertig gestellt, wegen sicherheitstechnischer und politischer Bedenken ging es aber nie in Betrieb.

Ursprünglich waren sogar zwei Blöcke mit Brutreaktoren des Herstellers Interatom GmbH an diesem Standort geplant. 1969 wurde der Reaktor zu einem Festpreis von 500 Mio. Mark angeboten. Bis 1972 stiegen die Kosten auf 1,7 Milliarden Mark, am Ende auf insgesamt 7 Milliarden Mark.

Breite Teile der Bevölkerung und die Politik glaubten zunächst den Verheißungen der Atom-Industrie. Nur durch den Einsatz der Atomenergie könne "der auch in Zukunft weiter stark anwachsende Energiebedarf sicher und preisgünstig gedeckt werden" warb die Projektgesellschaft damals in einer Broschüre.

Hinter der Idee des Brüters stand die Furcht vor der Endlichkeit der weltweiten Uran-Ressourcen. Angereichertes Uran ist der Brennstoff für die üblichen Leichtwasserreaktoren. In den sogenannten "Schnellen Reaktoren" soll Natrium anstatt Wasser als Kühlung dienen. Damit könnten Plutonium und natürliches, nicht angereichertes Uran verfeuert werden. Der Clou: Bis dato nicht spaltbare Urananteile werden somit zu spaltbarem Plutonium umgewandelt. Dank dieses Brutprozesses, so die damalige Überlegung der Forscher, würden die weltweiten Uran-Vorkommen einige zehntausend Jahre reichen.

Als die Theorie in die Praxis umgesetzt werden soll, fällt die Standortwahl für den Bau eines Reaktors mit einer Leistungskraft von 300 Megawatt auf das kleine Dorf Hönnepel bei Kalkar. Erstens, weil das Wasser aus dem nahe gelegenen Rhein als Kühlmittel für den Wasserdampf eingesetzt werden soll, der die Turbinen antreiben soll. Zweitens, weil in der Gegend vergleichsweise wenige Menschen leben. Im Katastrophenfall müssten nur einige Tausend evakuiert werden, so das Kalkül. Den Alternativ-Standort Weisweiler hatte die Reaktorsicherheitskommission RSK aus "sicherheitspolitischen Erwägungen" wegen der Nähe zur Großstadt Aachen verworfen.

    Protest und Widerstand

Der Protest gegen das gewaltige Bauvorhaben entwickelte sich nur langsam. Nachdem das Projekt 1970 gestartet wurde, sammelten Bewohner*innen des 550-Seelen-Dorfes Unterschriften, die Kirchengemeinde St. Regenfledis weigerte sich, das Land zu verkaufen, auf dem der Brüter hochgezogen werden sollte. Mitte 1971 bildete sich die erste Bürgerinitiative, die "Interessengemeinschaft gegen nukleare Versuchung. 1972 gab es im Rahmen einer öffentlichen Ahörung Proteste gegen die AKW-Pläne.

Anfang 1973 rollte ein Enteignungsverfahren gegen die renitente Kirchengemeinde an. Am 23. April 1973 begannen die ersten Baumaßnahmen. Im September 1973 ordnete das bischöfliche Generalvikariat die Auflösung des widerständigen Kirchenvorstands an und verkaufte das Land.

Im gleichen Monat reichte der Bauer Josef Maas die erste Klage ein. Sein Hof direkt neben der Baustelle wurde später der Mittelpunkt des immer breiter werdenden Protestes, der m November 1973 aus den Niederlanden heraus 10.000 Menschen nach Kalkar mobilisieren konnte

In den Folgejahren bildeten sich immer mehr Bürgerinitiativen. Auch Bruno Schmitz und seine Mitbewohner im Klever "Haus am Damm" haben sich dem Protest angeschlossen und sie haben im Januar 1977 beschlossen, im Herbst eine große, eine machtvolle Demonstration zu organisieren.

Am 24. September 1977 gab es in Kalkar eine Großdemonstration, bei der 40.000 Menschen gegen die Fertigstellung des Werks protestierten. Das hierzu beorderte Polizeiaufgebot gilt als das größte in der Geschichte der Bundesrepublik.

Die Republik war in Aufruhr, die Staatsmacht so nervös wie nie. Die RAF hatte in den vergangenen Monaten mit ihrer Offensive `77 das Land erschüttert. Im April wurde Generalbundesanwalt Siegfried Buback ermordet, im Juli Jürgen Ponto, der Vorstandssprecher der Dresdner Bank. Anfang September entführte ein RAF-Kommando den Arbeitgeberpräsidenten Hanns Martin Schleyer.

    Viel Nervosität vor den Demos

In Kalkar, wo auf dem Markt die Auftaktkundgebung stattfinden soll, haben verängstigte Geschäftsleute ihre Schaufenster mit Brettern geschützt. Schmitz und die anderen Organisatoren der Demo haben in den vergangenen Monaten oft darüber diskutiert, wie weit sie gehen wollen, können, müssen. Sie haben beschlossen, friedlich zu bleiben.

Spät abends standen allerdings ungebetene Besucher vor der Tür ihrer Wohngemeinschaft. Schwer bewaffnete Polizisten haben das Haus umstellt, zielten mit Maschinenpistolen auf die Fenster, Panzerwagen sind aufgefahren. Hausdurchsuchung. "Wir vermuten hier Waffen, die morgen eingesetzt werden sollen", sagte der Beamte, dem Schmitz die Tür öffnete. Die Polizisten drängten ins Haus, der junge Lehrer spürte einen Gewehrlauf im Rücken. Er hatte Angst. "Mein Gott, was passiert, wenn einer von denen die Nerven verliert", dachte er.

Die Beamten fanden nichts. Bis auf eine Tüte mit Steinen, die die Atomkraftgegner für ihre Infotische brauchen, zum Beschweren der Flugblätter. Die Tüte wurde mitgenommen. Auch Steine könnten Waffen sein.

Auch am nächsten Tag zeigte der Staat die Zähne. Im Einsatz waren zehntausend Polizisten, sie durchsuchten sämtliche Busse und Autos, die nach Kalkar fuhren. Selbst ein Zug wurde auf offener Strecke angehalten. Mit Sand gefüllte Container versperrten Straßen und Gassen. Hubschrauber kreisten über der Stadt.

Die Befürchtungen der Staatsmacht kamen nicht von ungefähr. In den Monaten zuvor hat es bei Großdemonstrationen in Brokdorf, Grohnde und im französischen Malville heftige Auseinandersetzungen gegeben. In Kalkar wird es am 24. September friedlich bleiben. Rund 50.000 Menschen drängten sich an diesem milden Herbsttag auf dem Kalkarer Markt. Unter anderem sprach Robert Jungk, einer der bedeutendsten Pioniere der Umwelt- und Friedensbewegung.

Bruno Schmitz und seine Freunde sangen Lieder gegen den Brüter. Schließlich zogen die Demonstranten los, zur Wiese des Bauern Maas gegenüber dem Atomkraftwerk. Der befürchtete Ansturm auf den Brüter aber blieb aus. Stattdessen plantschten die Demonstranten in dem Wassergraben. In den Jahren danach blieb es nicht immer friedlich. Im Juli 1981 und Oktober 1982 kommt es zu gewalttätigen Auseinandersetzungen zwischen Demonstranten und der Polizei.

    Längst kein Rückhalt mehr in der Bevölkerung

Der Widerstand aber zeigte Wirkung. Dank einer Beschwerde vor dem Bundesverfassungsgericht konnten Gegner*innen einen vierjährigen Baustopp erreichen. Verschärfte Sicherheitsauflagen sollten die Bedenken ausräumen, machten das Projekt allerdings auch immer teurer.

In der Politik schwand der Rückhalt für das Projekt. Vielleicht auch wegen der explodierenden Kosten. Ursprünglich sollte der Brüter 940 Millionen D-Mark kosten. Am Ende werden die Steuerzahler sieben Milliarden D-Mark zahlen müssen.

1985 verweigerte das Land Nordrhein-Westfalen gegen den Wunsch der Bundesregierung die Betriebsgenehmigung. Bundesforschungsminister Heinz Riesenhuber (CDU) warb noch im Mai 1983 in einem Interview in der NRZ für den Brüter: "Die Erzeugung von Strom durch Kernreaktoren ist sicher und umweltfreundlich. Diese Technologie wird daher von jeder verantwortungsvollen Regierung, die die Arbeitslosigkeit in unserem Land durch Wirtschaftswachstum abbauen will und die mit dem Umweltschutz ernst machen will, befürwortet werden."

Die für die Genehmigung zuständige Landesregierung hat er da schon nicht mehr auf seiner Seite. Schon lange gab es keinen Rückhalt mehr in der Bevölkerung. Als das flüssige Natrium bereits seit fast einem Jahr im Kühlkreislauf des Brüters zirkuliert, kommt es am 26. April 1986 nahe der ukrainischen Stadt Prypiat zum größten anzunehmenden Unfall. Reaktorblock 4 des Atomkraftwerks Tschernobyl explodiert.

    Tschernobyl ist der Sargnagel für den Schnellen Brüter

Am 21. März 1991 wurde die Stilllegung beschlossen.Bundesforschungsminister Heinz Riesenhuber verkündete das endgültige Aus für das Kraftwerk.

Durch die gewaltigen Kosten beim Bau und die jahrelange Bereithaltung für einen eventuellen späteren Betrieb handelt es sich um die größte Investitionsruine Deutschlands.

    Heute ein "Wunderland"

1995 kaufte der niederländische Investor Hennie van der Most die gigantische Ruine und machte daraus ein Hotel und einen Vergnügungspark "Wunderland Kalkar". Heute sorgt der Brüter für Polizeieinsätze, weil die AfD dort immer wieder Parteitage abhält. Auch sie hat sich die Gegend ausgesucht, weil sie so menschenleer ist. Trotzdem kommen Menschen, um gegen sie zu protestieren.@

Quellen:
ausgestrahlt.de
nrz.de

 

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