Unterirdische Atommüll-Deponierung in Asse II – die ersten 50 Jahre

Strahlendes Erbe

von Andreas Riekeberg, Wolfenbüttel

Vor mehr als 50 Jahren begann am 4. April 1967 die unterirdische Einlagerung von Atommüll in das ehemalige Salzbergwerk Asse II bei Remlingen im Landkreis Wolfenbüttel, 15 Kilometer südöstlich von Braunschweig. Im Folgenden wird zunächst die Umwidmung des alten Salzbergwerkes Asse II zu einem "Versuchs"-Endlager Mitte der 1960er Jahre geschildert und der Kampf um das keineswegs selbstverständliche Ende der Einlagerung Ende des Jahres 1978. Seit 1988 fließt nun eine erhebliche Menge Lauge ins Bergwerk. Bis 1998 wurde versucht, diesen Sachverhalt zu verheimlichen, denn es bedeutet: die Radionuklide werden nicht im Berg bleiben. Vor vierzehn Jahren begann am 4. April 2007 mit der "Remlinger Erklärung" ein neues Kapitel im Kampf gegen die Flutung der Asse. Mit der Aufdeckung einiger Skandale wurde Asse II damals erneut bundesweit bekannt.

    Das Wichtigste in Kürze

In das zunächst als wissenschaftliche Forschungs- und Versuchseinrichtung deklarierte, ehemalige Salzbergwerk Asse II wurden in knapp 13 Jahren bis Ende 1978 insgesamt 50.000 Kubikmeter Atommüll geschafft, verpackt in 126.000 Transportbehälter. Das Inventar enthält unter anderem ca. 102 Tonnen Uran, 87 Tonnen Thorium, 28 Kilogramm Plutonium und ca. 500 Kilogramm Arsen. Arsen wie Plutonium sind schon in kleinsten Mengen tödlich.

Über den Schacht Asse 2 wurden die Atommüllbehälter nach unter Tage verbracht und dort in leeren Salzabbau-Kammern vor allem auf der 750 Meter-Sohle eingelagert. Von Anfang an war klar, dass es wegen eindringender Flüssigkeiten Probleme mit der Trockenhaltung des Bergwerkes und damit auch des Atommülls geben könnte.

Lange schien es zu gelingen, den eingelagerten Atommüll aus dem öffentlichen Bewusstsein herauszuhalten. Jahrzehntelang war hauptsächlich die Rede von "radioaktiven Abfällen aus Medizin und Forschung", die in Asse II eingelagert worden seien. Mit dem Argument "irgendwo müssen die radioaktiven Rückstände von Krebstherapie und -forschung doch hin" wurde an die Hilfsbereitschaft gegenüber Kranken appelliert, um die Kritik an der Einlagerung in der Asse als mitleidslos und illegitim darzustellen und gleichzeitig die besorgten Anwohner zu beruhigen.

Doch in Wirklichkeit kamen mehr als 90 % des radioaktive Nuklidinventars aus der Wiederaufarbeitungsanlage (WAA) des Atomforschungszentrums Karlsruhe, die von Atomkraftwerken mit gebrauchten Brennelementen beliefert wurde. Weniger als 2 % der radioaktiven Stoffe in Asse II stammen aus dem medizinischen Bereich.

Im Juni 2008 wurde dann ein unrechtmäßig genehmigter Umgang mit Atommüll in Asse II bekannt: Der Betreiber hatte Lauge, die mit radioaktivem Caesium, Strontium und Plutonium kontaminiert war, ohne Strahlenschutz-Genehmigung in tiefere Bereiche verbracht. Dies wurde verboten, doch nach und nach kamen immer mehr skandalöse Details ans Licht: Die eingelagerten Abfälle strahlten stärker als bekannt, ein Teil der aufgefangene Lauge hat seit Jahren Kontakt mit Atommüll aus Kammer 12 auf der 750 m-Sohle, Brennelemente aus Jülich waren eingelagert worden, dazu auch Giftstoffe wie eine halbe Tonne Arsen.

Am 1. Januar 2009 löste das Bundesamt für Strahlenschutz (BfS) als Betreiber der Schachtanlage, den vorherigen Betreiber, das Helmholtzinstitut München (HMGU) mit der Gesellschaft für Strahlenforschung (GSF) ab. Mit einer Novelle des Atomgesetzes wurde Asse II unter Atomrecht gestellt und ein Optionenvergleich zum weiteren Umgang mit dem Atommüll durchgeführt. Dessen Ergebnis im Januar 2010: Der Atommüll kann nur bei Rückholung aus dem Bergwerk Asse II langfristig so gelagert werden, dass die Radionuklide nicht in Lösung gehen und sich in der Umwelt ausbreiten.

Die vorgesehene Rückholung des Atommülls kommt jedoch – trotz Verankerung dieses Zieles im Atomgesetz – kaum voran. Einigermaßen zügig arbeitete das Bundesamt für Strahlenschutz (BfS) als Betreiber von Asse II lediglich daran, alle Strecken unterhalb von 700 Metern zu verfüllen. Damit ist allerdings die Gefahr verbunden, dass sich eindringende Salzlauge in den mit Atommüll gefüllten Kammern aufstaut und dass dadurch dieser Atommüll durchnässt und aufgelöst wird. Damit würde die Rückholung immer schwieriger werden. Langjährige wissenschaftliche Kritik an den Maßnahmen des Betreibers blieb unbeachtet.

    1964 – 1967: Proteste und Kritik von Anfang an

Schon als nach dem Ende des Salzabbaus am 31. März 1964 in den Jahren 1964/65 Pläne der Bundesregierung bekannt wurden, den Salzstock zur Unterbringung von Atommüll zu verwenden, votierte der Wolfenbütteler Kreistag dagegen. Doch am 1. März 1965 erwarb die Gesellschaft für Strahlenforschung (GSF) im Auftrag der Regierung das Bergwerk und richtete es zur Einlagerung von Atommüll her. Am 4. April 1967 begann die erste Phase der Einlagerung. Weil man in Karlsruhe kein neues Zwischenlager mehr bauen wollte und damit ca. 1,2 Mio. DM (ca. 600.000 Euro) einsparen wollte, hatte das dortige Atomforschungszentrum Druck auf die GSF gemacht, die Einlagerung in Asse II zu starten.

Die Pläne waren hochfliegend: ab 1970 sollte mittelaktiver und ab 1975 auch hochaktiver, also hitzeentwickelnder Atommüll in Asse II eingelagert werden. Die SPD/FDP-Bundesregierung stellte in ihrem Umweltprogramm 1971 vor, dass insgesamt 250.000 Kubikmeter Atommüll in Asse II untergebracht werden sollten.

In verschiedenen Phasen wurde eingelagert. Zunächst gab es vier Phasen der sogenannten "Versuchseinlagerung" in denen jeweils 1500 bis 3200 Fässer eingelagert wurden. Die erste Phase dauerte drei Monate vom 4.4. – 4.7.1967, dann nach einem halben Jahr Pause die zweite Phase vom 20.10.1967 – 4.4.1968. Nach langer Pause die dritte Phase vom 3.11.1969 – 24.3.1970 und schließlich eine weitere sechsmonatige Einlagerungsphase vom 21.1. -–22.7.1971.

Erst für die zweite Phase wurden überhaupt Annahmebedingungen formuliert, die dann auch für den "regulären" Einlagerungsbetrieb ab 1971 galten: Der Inhalt der Fässer sollte nicht gär- und faulfähig sein, keine heftigen chemischen Reaktionen erwarten lassen, keine Korrosion von innen bewirken, frei von flüchtigen Nukliden und entzündlichen Stoffen sein. Für die erste Einlagerungs-Charge galt dies wohlgemerkt noch nicht!

Möglicherweise hängt die Nichtaufstellung solch eigentlich selbstverständlicher Annahmebedingungen damit zusammen, dass zunächst Hinterlassenschaften aus der Nazi-Atomforschung zu beseitigen waren, die dem nicht entsprochen hätten, aber weggeschafft werden sollten. Die "Hannoversche Allgemeine Zeitung" vom 29. Juli 1974 zitiert den damaligen stellvertretenden Asse-Betriebsleiter Alwin Urff: "Als wir 1967 mit der Einlagerung begannen, hat unsere Gesellschaft als erstes radioaktive Abfälle aus dem letzten Krieg versenkt, jene Uranabfälle, die bei der Vorbereitung der deutschen Atombomben anfielen." Und weiter: "Die mussten wir nämlich aus Betonbunkern in der Nähe von München herausholen, wo sie seinerzeit deponiert worden waren." In Neuherberg nördlich von München hatte in den 1960er und 1970er Jahren die Gesellschaft für Strahlenforschung (GSF) ihren Hauptsitz, deren "Institut für Tieflagerung" das Atommüll-Bergwerk Asse II betrieb, vorher war dort eine 1938 – also kurz vor Beginn des 2. Weltkrieges – eröffnete "militärische Versuchsstation".

    1967–1971: Klare Einlagerungsbedingungen - Lieber nicht!

Auf eine langfristige Stabilität wurde bei den Einlagerungsbehältern ausdrücklich verzichtet. In einem Besprechungsbericht von Siemens mit der GSF und der Gesellschaft für Kernforschung (GfK) bezüglich der Abfallaufbereitung des AKW Obrigheim vom 30. August 1968 heißt es: "Die wichtigste Forderung für die in Asse 2 zu lagernden Abfälle ist, daß diese in Einheitsfässer abgefüllt sind und ausreichende Standfestigkeit für etwa 3 Jahre aufweisen." Wenn die Füllung des Fasses stabil sei, könne auch ein "billiges, instabiles Fass" genommen werden.

Noch im August 1969 findet sich in einer Besprechungsnotiz der AEG der Hinweis: "Momentan ist jedoch die GSF als Betreiber der Endlagerung und die GfK als Berater in speziellen verfahrenstechnischen Fragen noch nicht an einer Fixierung der ganzen technischen Verfahrensweise der Endlagerung interessiert." Es sei zu erwarten, "dass die jetzt geltenden Sicherheitsvorkehrungen in Zukunft eher gelockert als verschärft werden. Schon aus diesem Grunde erscheine die Herausgabe von verbindlichen Richtlinien zum jetzigen Zeitpunkt nicht ratsam."

Im August 1971 wurden dann Einlagerungs-Bedingungen formuliert, die sich auf die Kontamination des enthaltenen Materials, die Art der Fässer und die Oberflächenstrahlung bezogen: im Normalfall an keiner Stelle der Oberfläche größer als 200 Millirem/Stunde, im Ausnahmefall jedoch bis 1000 mrem/h. Auch die Annahme von Kernbrennstoffen wurde geregelt, im Normalbetrieb und im Sonderfall: "Kernbrennstoffe können wie sonstige schwachradioaktive Abfallstoffe behandelt werden, wenn ihr Gesamtgehalt an spaltbarem Material (…) unter 15 g je 200 1 liegt." "Abfallstoffe, die mehr als die oben angegebene Menge an Spaltstoffen enthalten, können nur nach gesonderter Vereinbarung angenommen werden."

Gegen die Nichteinhaltung von Annahmebedingungen wurde in Remlingen wiederholt protestiert, so etwa am 11. September 1972 gegenüber der GfK Karlsruhe wegen erheblicher Überschreitung von Plutonium-Höchstwerden. Es ist jedoch schwer zu beurteilen, ob dieses nur ein formeller Protest oder wirklich ernst gemeint war.

Über die Jahre wurden in zehn Kammern auf der 750 Meter-Sohle und in eine Kammer auf der 725 Meter-Sohle von 1967 bis 1978 insgesamt 124.494 Behälter als "schwachradioaktiver" Abfall (LAW) deponiert. Eine Kammer auf der 511 Meter-Sohle wurde als "MAW"-Kammer deklariert, hier wurden von 1972 bis 1977 insgesamt 1.293 Behälter als "mittelradioaktiver Abfall" in Form eines Schüttkegels eingelagert.

Dabei bemisst sich die Unterscheidung nach LAW oder MAW im Wesentlichen an der Strahlungintensität der Behälteraußenseite. Nachdem die MAW-Einlagerung offiziell beendet war, wurden noch tausende Fässer mit einem Betonmantel von 10 cm als LAW-Müll eingelagert. Hier wurde stärker strahlender Atommüll durch einen Betonmantel als LAW "einlagerungsfähig" gemacht.

    1978: Der Kampf um das Ende der Einlagerung

Am 31. Dezember 1978 endete die Einlagerung von Atommüll in Asse II – dank politischer und juristischer Auseinandersetzungen. Mit der vierten westdeutschen Atomgesetznovelle von 1976 war vorgeschrieben worden, dass für die Errichtung von Atommüllendlagern ein geordnetes Planfeststellungsverfahren mit Langzeitsicherheitsnachweis und Öffentlichkeitsbeteiligung durchgeführt werden muss – kaum vorstellbar, dass dieses im Fall Asse II gelungen wäre.

Kurz vor Ende der Müllannahme wurde noch so schnell wie möglich Atommüll in die Asse gebracht und vor allem nach dem "Versturzverfahren" untergebracht: Atommüll-Fässer ohne jegliche dafür vorgesehene Stabilität mit dem Radlader über die Kante stürzen, Schicht für Schicht mit Salz auffüllen und planieren. Mehr als 50% aller eingelagerten Gebinde wurden in den letzten drei Jahren auf diese Weise eingebracht. In der Region um die Asse begannen schon im Jahr 1976 hartnäckige Kämpfe gegen weitere Versuche des Betreibers, noch mehr Atommüll und darunter auch hitzeentwickelnden hochradioaktiven Atommüll einzulagern.

    1978: Die Kugeln aus Jülich

Zum Einen ging es gegen die Einlagerung von Brennelementen aus dem AVR-Reaktor Jülich: Der dortige "Kugelhaufenreaktor" wurde von 1966 bis 1988 betrieben. Anfang März 1976 genehmigte die Physikalisch-Technische Bundesanstalt (PTB) der GSF, 100.000 Brennelemente aus Jülich in Asse II einzulagern.

Im Frühjahr 1977 wuchs der öffentliche Protest gegen die Einlagerungspolitik: die Informationsveranstaltungen der Bürgerinitiativen waren überfüllt, große Versammlungen der Asse-Gemeinden fanden statt. Auch ein Ostermarsch mit über 300 TeilnehmerInnen wurde durchgeführt: die zweite Welle von Protesten gegen die Atommüll-Einlagerung in Asse II.

Reinhold Stoevesandt, stellvertretender Landrat, beantragte Ende September 1977 eine einstweilige Anordnung gegen die Einlagerung der AVR-Brennelemente, wurde jedoch Anfang November vom Verwaltungsgericht Braunschweig abgewiesen. Er legte Widerspruch ein, der aufschiebende Wirkung hatte, so durfte nicht eingelagert werden. Mit vier weiteren KlägerInnen reichte Stoevesandt im März 1978 schließlich Klage ein.

Da passierte in Jülich vom 13. bis 21. Mai 1978 ein schwerer Unfall. 27 Tonnen Wasser drangen in den Primärkreislauf, also in den Reaktorkern ein, was in heliummoderierten Graphit-Kugel-Reaktoren wegen der Bildung explosiver Gase höchst gefährlich ist. Noch immer ist nicht umfassend geklärt, welche radioaktiven Kontaminationen dieser Unfall zur Folge hatte.

Mit dem Ende der Einlagerungsgenehmigung erlosch jedenfalls am 31.12.1978 auch die Möglichkeit, AVR-Brennelemente einzulagern.

Erst 30 Jahre später wurde im August 2008 bekannt, dass wirklich Atommüll aus Jülich in Asse II eingelagert ist, etwa 50.000 Moderator-Kugeln sowie Brennelemente-Kugeln aus Versuchen in etwa 100 Fässern als LAW. Das Tritium-Inventar pro Fass aus Jülich war jedoch etwa 1000 mal höher als nach den Annahmebedingungen zulässig – um eine Zurückweisung zu vermeiden, hatte man in Jülich das Inventar bewusst zu niedrig deklariert und später vorgetäuscht, man habe es damals noch nicht messen können.

    1978 – 1988: Doch noch Fortsetzung der Versuchsendlagerung

Am 13. Mai 1978 bestätigte die SPD/FDP-Bundesregierung, eine weitere Novelle des Atomgesetzes zu planen, mit der eine sogenannte "Versuchsendlagerung" in Asse II ohne Planfeststellungsverfahren weiterhin möglich geworden wäre. Nach dem Jülicher Unfall stellte sich jedoch der niedersächsische Ministerpräsident Ernst Albrecht am 25. Mai dagegen und verlangte ein ordentliches Planfeststellungsverfahren. Am 30. August 1979 stellte die PTB dann tatsächlich den Antrag, die Schachtanlage Asse II zu einem regulären Endlager für schwach- und mittelradioaktivem Atommüll zu erklären. Die Atomindustrie und deren Lobbyisten drängten darauf, Asse II wieder freizugeben – galt doch die Einlagerung in der Asse damals als Entsorgungsnachweis für mehr als ein Dutzend Atomkraftwerke! Am 11. September 1981 beschloss eine Ministerrunde von Bund und Land Niedersachsen allerdings, diesen Planfeststellungsantrag nicht weiterzuverfolgen.

Ungeachtet des Einlagerungs-Stopps wurden in Asse II weitere Versuche mit Atommüll durchgeführt und dazu auch Strahlungsquellen nach unter Tage verbracht. Von 1983 bis 1985 untersuchte man eine Einlagerung von hitzeentwicklendem Atommüll in Salz, dazu wurden Kobalt-60 Quellen eingebracht.

Im Jahr 1989 wurde der Plan vorgestellt, für einen "Versuch" in Asse II Kokillen mit hochradioaktivem Atommüll aus Hanford (USA) zu holen. Mit einer Menschenkette um das Gelände der Schachtanlage Asse II – eine vom Widerstand gegen die Atomraketen-Stationierung in den 1980er Jahren her bekannte Aktionsform – wurde gegen dieses Vorhaben protestiert. Dessen ungeachtet beantragte der Asse II-Betreiber GSF Anfang März 1991 eine Genehmigung des HAW-Versuchs. Knapp ein Jahr später zog er den Antrag wegen der anhaltenden Kritik zurück.

Eine sehr wichtige wissenschaftlich Arbeit für den Widerstand gegen eine weitere Einlagerung von Atommüll in die Asse leistete der junge Braunschweiger Wasserbau-Ingenieuer Hans-Helge Jürgens. Anfang des Jahres 1979 hatte er eine Arbeit "Atommülldeponie Salzbergwerk ASSE II – Gefährdung der Biosphäre durch mangelnde Standsicherheit und das Ersaufen des Grubengebäudes" veröffentlicht und damit die Gefahren eines Absaufens in die Öffentlichkeit gebracht. Für den Widerstand gegen die Einlagerung von Atommüll in die Asse II war seine Arbeit maßgeblich – seine wissenschaftliche Karriere war damit allerdings beendet. Noch heute ist das Gutachten von Dr. Jürgens aus dem Jahre 1979 aktuell.

    1988 – 1998 : Laugeneinbrüche werden verheimlicht

Im Jahr 1988 wurden 32 neue Zutrittsstellen von Salzlösung festgestellt, ein Teil davon stammt nachgewiesenermaßen aus dem Neben- oder Deckgebirge in der Südflanke, also von außerhalb des Bergwerkes selber und nicht etwa von alten Wassereinschlüssen im Salzstock oder von Verfüllmaßnahmen der Kalisalz-Abbaue aus der ersten Jahrhunderthälfte.

Das war keine gute Nachricht für alle diejenigen, die auf eine Einlagerung von Atommüll in Salzformationen hinarbeiten, sollte doch Asse II auch der Prototyp für Gorleben sein. Auf den Sohlen in 658m,725m und 750m Tiefe werden mittlerweile seit Jahren täglich etwa zwölf Kubikmeter an Lösungen aufgefangen und abtransportiert. Der Laugenzutritt von außen wurde zunächst verheimlicht. Ein Bericht "Gefahrenabschätzung für die Schachtanlage Asse" von 1995, in dem der Zufluss erwähnt wird, wurde vom Betreiber GSF verhindert.

Die im Jahr darauf erscheinende Habilitationsschrift von Dr. Horst-Jürgen Herbert mit Hinweisen auf den Laugeneinbruch musste so umgeschrieben werden, dass nicht mehr von der Schachtanlage Asse II die Rede war. Fachleute konnten gleichwohl Asse II erkennen – doch niemand schlug Alarm. Allen Wissenschaftlern, die sich mit Asse II oder der Endlagerung von Atommüll in Salz befassten, dürfte nach dem Exempel, das an H.-H. Jürgens statuiert worden war, vor Augen gestanden haben, wie schnell eine wissenschaftliche Karriere beendet sein konnte, wenn man sich öffentlich gegen die Einlagerungsinteressen der AKW-Betreiber stellte.

Erst 1998 gestand die GSF ein, dass täglich mehr als 10 Kubikmetern Salzlösung in der Asse aufgefangen werden. Angesichts der Laugenzuflüsse ist ein dauerhafter Abschluss des eingelagerten Atommülls von der Biosphäre, also der belebten Umwelt, illusorisch. Dennoch begann die GSF im Jahr 2002 mit dem Versuch, einen Langzeitsicherheitsnachweis für eine Schließung von Asse II unter Verbleib des Atommülls im Bergwerk zu errechnen. Ihr Konzept: Strömungsbarrieren bauen, Hohlräume soweit möglich mit Beton verfüllen und dann das Bergwerk mit 500.000 Kubikmetern einer gesättigten Magnesiumchloridlösung fluten, damit die eindringende Salzlösung möglichst wenig an tragenden Strukturen auflösen kann.

Ein Vabanquespiel mit der Gefahr der weiträumigen radioaktiven Kontaminierung der Umwelt. Bei diesen Plänen mit einer havarierenden Atommülldeponie drohen unvorhersehbare Folgen. Um dem etwas entgegenzusetzen, organisierte die "Aktion Atommüllfreie Asse " in den Jahren 2001 und 2005 zwei Fachgespräche zum Thema "Asse II".

Der Widerstand kam wieder in Gang. Im Jahr 2006 verabschiedeten der Kreistag Wolfenbüttel und die Samtgemeinden Asse und Schöppenstedt Resolutionen zu Asse II. Initiativen und Einzelpersonen gründeten am 10. Februar 2007 einen "Asse II-Rechtshilfefonds", um die Tischlermeisterin Irmela Wrede aus Mönchevahlberg in der Einreichung einer Klage beim Oberverwaltungsgericht Lüneburg zu unterstützten und damit endlich durchzusetzen, dass Asse II nach Atomrecht betrieben wird. Im Jahr 1993 hatte die SPD/Grüne-Landesregierung von Niedersachsen einen bedenklichen Präzedenzfall geschaffen, indem sie die Verfüllung der Kammern auf der Südwestflanke nach einfachem Bergrecht genehmigt hatte anstatt ein atomrechtliches Verfahren durchzuführen.

    Remlinger Erklärung von 2007

Am 4. April 2007 jährte sich die erste Einlagerung von Atommüll zum 40. Mal. Aus diesem Anlass veröffentlichten fünfzehn Initiativen und dreißig Einzelpersonen die "Remlinger Erklärung".

Darin heißt es: "Wir fordern, Asse II nicht per Flutung stillzulegen. Der Atommüll muss rückholbar bleiben. … Damit die Rückholung möglich bleibt, muss das Bergwerk sofort stabilisiert werden. Parallel dazu müssen … schnellstens alle Alternativen zur Flutung und zur Rückholung entwickelt und bewertet werden." Wer die Erfahrungen mit Asse II ernst nehme, "kommt um die Erkenntnis nicht herum, dass eine weitere Produktion von Atommüll grundsätzlich nicht zu verantworten ist."

Über zweitausend Gruppen und Personen schlossen sich der Remlinger Erklärung bis 2009 an. Auf Basis dieser ersten Remlinger Erklärung, die nun vierzehn Jahre alt ist, arbeitet seither der "Asse II-Koordinationskreis" (A2K), an dem Bürgerinitiativen, Gruppen und Einzelpersonen beteiligt sind. Er wendet sich gegen die Flutung von Asse II und gegen die Kontaminierung der Umgebung mit Radionukliden aus dem eingelagerten Atommüll.

    2009: Der Betreiber wechselt

Zu Beginn des Jahres 2009 wurde das Bundesamt für Strahlenschutz neuer Betreiber von Asse II. Ein Optionenvergleich für verschiedene Varianten der Schließung ergab 2010 eine Präferenz für die Rückholung des Atommülls. Doch vor die Planung der Rückholung wurde eine sogenannte "Faktenerhebung" gesetzt. Ihr Anspruch einer versuchsweisen Rückholung im Kleinen war von vornherein zum Scheitern verurteilt und bewirkte somit eine jahrelange Verzögerung der eigentlichen Rückholungsplanung. Zum öffentlichen Protest in der "Atommüllregion Braunschweig Land" mit den Standorten Asse II, dem Atommüll-Verarbeitungsbetrieb Eckert & Ziegler in Braunschweig, dem ostdeutschen Endlager Morsleben bei Helmstedt und dem geplanten Schacht Konrad in Salzgitter kamen im Februar 2009 und noch einmal im März 2012 über 20.000 Menschen zu Lichterketten-Aktionen zusammen.

Es schloss sich die Kampagne "Pumpen statt Fluten" an: 25.000 BürgerInnen unterstützten im Juni 2012 den Protest gegen die unzureichenden Pläne des BfS zur Notfallvorsorge. Im Februar 2013 wurde dann durch eine Änderung des Atomgesetzes in §57b die Rückholung als bevorzugten Weg zur Stilllegung von Asse II gesetzlich vorgeschrieben. Doch das Gesetz lässt eine Hintertür offen: "Sind die Rückholung sowie alle Optionen zur Stilllegung nur unter Abweichung von gesetzlichen Anforderungen möglich, ist die Schachtanlage Asse II mit der nach einer Abwägung der Vor- und Nachteile bestmöglichen Option stillzulegen."

Der Asse II-Koordinationskreis fasste seine Kritik an dem Handeln des Betreibers in vierzehn Punkten zusammen: "Atommüll-Rückholung aus Asse II: Zielt der Betreiber BfS absichtlich daneben", siehe http://www.asse-watch.de/daneben.html.

Die vordringlichsten Aufgaben in der Schachtanlage Asse II wären: eine vernünftige Drainage der Atommüllkammern, die Abteufung eines neuen Schachtes Asse 5 zur Rückholung des Atommülls und eine konkrete Rückholungsplanung.@

 

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