Der deutsche Strommarkt in der Klimakrise

von Hauke Benner

Deutschland hat 2015 in einem feierlichen Akt das Pariser Klimaabkommen unterzeichnet. Dieser Vertrag verpflichtet den deutschen Staat auf das Pariser Klimaziel, eine Erderwärmung unter 2 Grad zu halten, und mit seiner Klimapolitik sich möglichst dem ambitionierten 1.5 - Grad Ziel anzunähern.

Viele wissenschaftliche Forschungsinstitutionen wie die 'Agora-Energiewende' oder das 'Fraunhofer-Institut' haben in den letzten beiden Jahren detaillierte Vorschläge erarbeitet, was dazu im Bereich Energie, Verkehr und Landwirtschaft getan werden muss. Vor ein paar Wochen ist die jüngste Studie zu dieser Fragestellung veröffentlicht worden, diesmal im Auftrag von Friday for Future (fff) erstellt vom 'Wuppertal-Institut' .

Alle darin entwickelten Szenarien rechnen den Leser*innen vor, dass der Strom in Deutschland im Jahr 2050 zu 100% CO2-frei produziert werden kann. Inwieweit schon 2035 das von fff propagierte Ziel, nämlich 100 % aus Erneuerbarer Energie (vereinfacht nenne ich das jetzt Ökostrom) erreicht werden kann, hängt davon ab, ob der Kohleausstieg politisch schon 2030 durchgesetzt werden kann - entgegen der Regelung im Kohleausstiegsgesetz, die dafür erst das Jahr 2038 vorsieht. Spätestens an diesem Punkt geht es in den Machbarkeitsstudien also um Machtstrukturen auf dem Strommarkt oder kurz um Machtfragen.

Aber seltsamerweise werden diese dann nicht mehr behandelt. Es wird zwar die Notwendigkeit des Umbaus des deutschen und europäischen Strommarkts in Richtung einer Dezentralität der Stromproduktion und -verteilung deutlich hervorgehoben - aber wie das durchgesetzt werden kann, gegen welche wirtschaftlichen Interessen, – das bleibt eine Leerstelle in diesen Expertisen.

Es ist ganz offensichtlich, dass beim Ausbau des Ökostroms seit ein paar Jahren gehörig auf die Bremse getreten wird. Warum ist das so? Wer steckt dahinter? Und warum werden die Warnungen der Klimaforscher*innen so in den Wind geschlagen? Um diesen Fragen auf den Grund zu gehen, habe ich mir den heutigen bundesdeutschen Strommarkt angeschaut. Wie funktioniert er und wer spielt welch eine Rolle?

Das Wort "Markt" sagt es bereits: in unserer Gesellschaft ist Energieversorgung generell als Geschäftsbeziehung organisiert: es wird verkauft und gekauft, und dieser Wirtschaftszweig bietet die Möglichkeit, im großen Maß Kapital zu mehren. Der Staat beschränkt sich darauf, das Geschehen zu regulieren. Die weiteren Ausführungen zeigen, dass diese Regulierungen nicht zu einer Energiewende führen, wie sie dringend notwendig wäre. Die gesamte Konstruktion ist falsch: Aufgabe müsste es sein, allen Menschen Zugang zu der Energie zu ermöglichen, die sie für ein gutes Leben benötigen. Stattdessen erleben wir, dass dieser Sektor behandelt und gehätschelt wird als das große Schwungrad, das die ganze Maschinerie aus Investition, Produktion und Wegwerfkonsumtion zum Zweck der Kapitalvermehrung am Laufen hält. Die Parole "system change, not climate change!" weist die Richtung: um die in Paris formulierten Ziele zu erreichen ist es erforderlich, sich von der Kapitalverwertungslogik zu befreien, die ein Festhalten an überkommenen Strukturen zwingend notwendig zu machen scheinen.

Möglicherweise ist die gesamte Konstruktion falsch: mit den Akteuren des atomar-fossilen Kapitalismus dessen Überwindung zu betreiben geht mit hoher Wahrscheinlichkeit schief. Zumindest ist das zu befürchten. Hier unterziehen wir uns nichtsdestotrotz der Mühe, sie uns genauer anzuschauen.

Wer sind in diesem
Geschehen die
wichtigsten Akteure?
    Regulierung und Aufsicht

Seit 1991 regeln Bundesgesetze die Einspeisung von Öko-Strom ins Netz. Herausragend ist hier das Erneuerbare-Energien-Gesetz, das 2000 beschlossen wurde. In der Folge ist das EEG immer wieder novelliert worden. Die Regierungen der Bundesländer legen durch Bestimmungen zum Beispiel im Baurecht die Bedingungen für die Errichtung von Energieanlagen fest. Der Bund macht außerdem Vorgaben für die Ausgestaltung der Übertragungsnetze.

Die Bundesnetzagentur soll dafür Sorge tragen, dass das Geschäft mit Ausbau, Erhalt und Betrieb des Übertragungsnetzes die Bindung an das Gemeinwohl nicht verliert.

    Bereitstellung elektrischer Energie

Auf der Stromerzeugerseite hatten die alten Stromriesen im Jahr 2019 immer noch einen Anteil von 75 %. Namentlich sind das: die ostdeutsche LEAG, Vattenfall, E.ON, EnBW und RWE. Das restliche Viertel verteilte sich auf kommunale Erzeuger und vor allem die über 680 Ökostromanbieter*innen.

Der Ökostrom kommt im wesentlichen aus der Photovoltaik und der Windkraft. Sein Ausbau wurde ursprünglich gefördert und reguliert durch das Gesetz zur Erneuerbaren Energien (EEG). Trotz aller politischen Schikanen der letzten Jahre hat es der Ökostrom mit seiner Vielzahl von Anbieter*innen im Jahr 2020 auf einen Anteil von fast 50% an der Gesamtstromerzeugung geschafft.

    Verteilung

Das deutsche Hochspannungsstromnetz ist aufgeteilt in vier Regionen, die von vier privaten Gesellschaften betrieben werden:, 50-Hertz im Osten, TenneT im Norden und Süden, TransNet im Südwesten und Amprion im Westen. Hier besteht nach wie vor eine enge Vernetzung mit den alten Stromriesen. Um die regionale und lokale Verteilung kümmert sich mehr oder weniger gut eine unüberschaubare Vielzahl an kleinen und mittleren Netzbetreibern.

    Verbrauch

Letztendlich bezahlt wird alles von den Nutzer*innen. Der Preis für bezogenen Strom setzt sich zusammen aus a) den Kosten, die die Stromanbieter für die Bereitstellung der Anlagen und die Produktion geltend machen; b) Kosten, die die Netzbetreiber fordern dürfen; c) deren jeweiligen Gewinnen; d) Kosten für "Verschmutzungsrechte".

Zur Kasse gebeten werden Verbraucher*innen in höchst unterschiedlichem Maß: private Haushalte zahlen den Hauptanteil; Betriebe mit energieintensiver Produktion werden systematisch begünstigt.

Für die Zukunft ist absehbar, dass durch Elektromobilität und die ins Auge gefasste Wasserstoffproduktion der Strombedarf stark steigen wird. Für eine Energiewende notwendig ist jedoch eine deutliche Senkung des Gesamtverbrauchs.

    Tagesgeschäft

Völlig neu seit der Jahrtausendwende ist die Leipziger Strombörse EEX und ihre französische Tochter, die den Spotmarkt in Paris für viele europäische Länder reguliert.

Schauen wir uns die Player im Einzelnen an und werfen zunächst einen Blick auf die großen (alten)

Stromerzeuger

Über viele Jahrzehnte war das Versorgungsgebiet in Gebietsmonopolen mit Gemeinwohlbindung aufgeteilt. Die vier großen Oligopole RWE, E.ON, Vattenfall und EnBW hielten Produktion und Verteilung in der Hand. Aufgrund von Vorgaben der EU-Kommission zur Schaffung eines europäischen Strom-Binnenmarktes konnte ab 1998 die Macht der alten Konzerne durch eine Liberalisierung, vor allem durch die Trennung von Produktion und Verteilung begrenzt werden. Heute sind – dank des rasanten Aufstiegs des Ökostroms – eine Vielzahl von Produzent*innen auf dem Markt. Zu beobachten ist allerdings eine Konzentration des Geschehens zugunsten der 'alten Player'; sie erobern marktbeherrschende Stellungen ähnlich wie vor der Europäisierung.

Die LEAG hat das Lausitzer Braunkohlerevier von Vattenfall gekauft und ist im Besitz einer tschechischen Heuschrecke EPH, der auch das (deutlich kleinere) sächsische Braunkohlerevier der Mibrag gehört. Regional vor allem im Grundlastbereich (also dem Stromsektor, der rund um die Uhr benötigt wird) mit seinen riesigen CO2-Luftverpestern (so die Braunkohlekraftwerke Jänischwalde oder Schwarze Pumpe) hat die LEAG besonders in Zeiten, wo wenig Ökostrom ins Netz eingespeist wird, eine starke Marktstellung.

Vattenfall zieht sich mehr und mehr aus dem deutschen Stromgeschäft zurück und ist nur noch lokal in Hamburg und Berlin bestimmend und am AKW Brokdorf beteiligt. EnBW ist dabei sich "neu zu erfinden" und forciert seit ein paar Jahren den Ausbau des Ökostroms. Mit der Abschaltung des AKW's Philippsburg 2019 und des noch laufenden Schrottreaktors Neckarwestheim verliert der Konzern seine letzten Atomkraftwerke.

Der als Stromproduzent weitaus bedeutsamste Konzern bleibt die RWE-Gruppe. RWE hat einen derzeitigen Marktanteil von 30% bei der Stromerzeugung. Der Konzern betreibt nicht nur riesige Braunkohlekraftwerke im rheinischen Kohlerevier, sondern auch noch zwei AKW's: Emsland bei Lingen und Gundremmingen in Bayern. Neuerdings wirbt RWE als "weltweit größter" Ökostromanbieter. Sowohl in der BRD wie vor allem im Ausland besitzt RWE zahlreiche große Windparks; unter anderem baut der Konzern derzeit vor der englischen Ostküste einen Offshore-Windpark mit 860 MW Leistung. Der Offshore-Windstrom wurde in den letzten Jahren massiv ausgebaut. Zu den größten Playern gehören neben RWE und Vattenfall der halbstaatliche dänische Konzern Örsted. Teilweise haben die einzelnen Wind'parks' in der Nordsee eine Ausdehnung von 100 Km² (!) mit über 1000 MW Leistung. Klar, dass das nur eine Sache für die großen Konzerne ist.

In seinem "Marktmachtbericht" von 2019 warnt das Bundeskartellamt vor einer "marktbeherrschende Stellung von RWE" nach dem Deal mit e.on. Wenn 2022 die letzten Atomkraftwerke in der BRD vom Netz gehen, werden die verbleibenden fossilen Kraftwerke des RWE-Konzerns durch die dann stillgelegten Kraftwerkskapazitäten auf dem Markt noch bedeutsamer, insbesondere in Zeiten, in denen die Ökoenergie aufgrund von Wind- und/oder Sonnenflaute nicht genug Strom produziert.

Das Stromnetz
    Flickenteppich und mangelnde Transparenz

Das Stromnetz in Deutschland wies 2017 eine Länge von 1,85 Millionen Kilometern auf. Davon entfielen 1,2 Millionen Kilometer (65 Prozent) auf die Niederspannungsebene, gut 500.000 Kilometer (28 Prozent) auf die Mittel- und 120.000 Kilometer (sieben Prozent) auf die Hochspannungsebene. In Deutschland gibt es neben den oben erwähnten vier großen Übertragungsnetzbetreibern einen Flickenteppich aus rund 880 kleinen Netzbetreibern. 70 Prozent von ihnen versorgen jeweils weniger als 30.000 Kund*innen. Sie müssen dennoch die vollständige personelle und technische Infrastruktur für den Betrieb und den Ausbau ihrer Mini-Netze bereithalten. Das treibt die Kosten in die Höhe und bremst zudem die notwendige Digitalisierung der Netze. Denn standardisierte Lösungen sind in diesem Wirrwarr die absolute Ausnahme. Mit Instandhaltung, Ausbau, Modernisierung und Betrieb der Netze machen die Betreiber jährlich 24 Milliarden Euro Umsatz.

Wie die Agora-Energiewende ausgerechnet hat, bezahlt ein Durchschnittshaushalt mit 250 € fast ein Viertel seiner Jahresstromrechnung für die Netzentgelte. Im Zeitraum von 2017 bis 2021 sind die Netzentgelte um durchschnittlich zehn Prozent gestiegen. In der Öffentlichkeit wird der Preisanstieg hingegen mit den Kosten für die Energiewende begründet. Das lässt sich aber nicht nachprüfen, denn die Netzbetreiber haben per Gerichtsbeschluss durchgesetzt, dass sie die Grundlagen für die Kalkulation ihrer Netzkosten den Kunden vorenthalten dürfen. Die Veröffentlichungen der Bundesnetzagentur sind entsprechend seitenweise geschwärzt. Und diese Verschleierungen, Vertuschungen mit höchster juristischer Genehmigung sind wesentliche Elemente ihrer politischen und wirtschaftlichen Macht.

Alle Verbraucher müssen die Netzentgelte bezahlen, jedoch nicht alle gleichermaßen. Industriekunden zahlen de facto 2/3 weniger als Privathaushalte: Betriebe, die zum Beispiel dann viel Strom entnehmen, wenn andere wenig verbrauchen ("atypische Verbraucher"), erhalten ebenso Rabatte wie Unternehmen, die für mindestens 7.000 Stunden im Jahr Strom aus dem Netz ziehen. Die staatliche Aufsichtsbehörde, die Bundesnetzagentur könnte hier einschreiten und eine Offenlegung der Kostenkalkulation erzwingen, nur fehlt es an entsprechenden Gesetzen und Verordnungen. Dreimal darf mensch raten, warum wohl? Erinnert sei an eine Aussage des ehemalige Aufsichtsratchefs des RWE-Konzerns Hermann J. Abs vor über 40 Jahren: "Elektrizität ist Macht"

    Neue große Trassen

Am 23. September 2020 hat das Bundeskabinett den neuen 'Bundesbedarfsplan für Elektrizität' beschlossen. Mit diesem Plan befasst sich auch der Bundestag und beschließt ihn dann mit einem Gesetz. Der zügige Ausbau der erneuerbaren Energien und die schrittweise Abschaltung der Atom- und Kohlekraftwerke erfordere es, Strom "zunehmend über weite Strecken zu transportieren", also die sogenannten "Stromautobahnen" voranzutreiben. Formal hat den Entwurf für den Ausbauplan der Bundeswirtschaftsminister eingebracht. Wie auch zu Zeiten der rot-grünen Koalition unter Schröder und Fischer haben die Lobbyverbände selbst die Gesetzestexte vorformuliert! Dieser Netzentwicklungsplan für die nächsten 10 Jahre stammt weitestgehend aus der Feder der vier großen Übertragungsnetzbetreiber. Sie sind nicht dem Gemeinwohl verpflichtet, wie es in dem Bereich der Grundversorgung der Bevölkerung mit Strom eigentlich angesagt wäre. Am Ausbau des 380kV-Netzes sind sie aus ökonomischen Gründen interessiert: ihr Gewinn ist in etwa proportional zum eingesetzten Kapital. Dieses wird mit einer "Mindestrendite" verzinst , wie es von der Bundesnetzagentur regulatorisch festgelegt wurde, und die ist vergleichsweise hoch: 6.9 % !

Im Zuge des Ausbaus von Ökostrom ist ein Umbau des Stromnetzes in Richtung Dezentralität längst überfällig. Daran gehen diese Pläne für "Stromautobahnen" völlig vorbei. Bedient wird hiermit lediglich die Versorgung besonders Süddeutschlands mit Ökostrom aus dem Norden. Es entstehen nämlich südlich des Mains große Versorgungslücken, wenn der Ausbau der Windkraftparks dort weiterhin so torpediert wird wie in den letzten Jahren. Schon heute müssen Bayern und Hessen mehr als 50 % ihres Stroms aus anderen Bundesländern oder dem Ausland importieren. Angesichts der Abschaltung der Atomkraftwerke und mittelfristig der Stilllegung der Kohlekraftwerke braucht es zweierlei: den massiven Ausbau der Ökoenergie vor Ort. Und dringend die Entwicklung dezentraler Anlagen zur zeitlichen Speicherung überschüssiger Energie. Teure neue Hochspannungsnetze mit zwischengeschalteten Redispatch-Gaskraftwerken zur Netzstabilisierung transportieren Überschussstrom von Nord nach Süd, sie verlagern also im Raum. Das ist paradox! Gebraucht wird die Möglichkeit der Verlagerung in der Zeit: von den Stunden und Tagen der Überschussproduktion in die Momente der Dunkelflaute.

Die BundesNetzagentur

Diese Behörde hat ihren Hauptsitz in Bonn und hat 3.000 Mitarbeiterinnen. Sie untersteht dem Bundeswirtschaftsministerium und ist dementsprechend weisungsgebunden. Sie regelt und überwacht sowohl technisch wie aber auch wettbewerbsmässig verschiedene Netze in Deutschland: das Telekommunikationsnetz, das Strom- und Gasnetz und auch das Eisenbahnnetz.

Uns interessiert hier das Stromnetz. Ich erwähnte weiter oben die vier großen regionalen Monopolisten des Hochspannungsnetzes. Das sind TenneT, im Besitz des niederländischen Staates, 50 Hertz im Osten, das gehört dem börsennotierten belgischen Konzern elia, Amprion im Westen gehört zu 75 % einem Fond der Commerzbank und zu 25 % RWE und Transnet ist eine Tochtergesellschaft von EnBW. Die Bundesnetzagentur legt alle paar Jahre die Mindestrendite für diese Gesellschaften fest und bestimmt indirekt über ihre Länderfilialen die Rendite für die 880 kleinen Netzgesellschaften. Wie schon erwähnt weigern sich aber insbesondere die großen Netzgesellschaften ihre Kostenkalkulation offen zu legen. Dass eine Behörde so was sich bieten lässt, dass ihr geschwärzte Seiten abgeliefert werden und sie seit 5 Jahren untätig bleibt, sagt viel aus, auf wessen Seite die Bundesregierung steht.

Wie überhaupt steuert die Bundesnetzagentur eher im "Blindflug" die Netze. Über die wahren Kosten und die Höhe der Investitionen in die Leitungen hat sie nur sehr eingeschränkte Kenntnis, muss aber trotzdem den 'Bundesbedarfsplan für Elektrizität' ausarbeiten und die entsprechenden Investitionssummen bzw. Kosten abschätzen. Agora schreibt dazu in einer Studie 'Blackbox Netzentgelte' von 2018: "Es gibt gleichzeitig eine Reihe von Hinweisen darauf, dass die Regulierungsbehörden die Netzentgeltgenehmigungsanträge teilweise nur lückenhaft geprüft haben und teilweise aufgrund von Vergleichen, die mit den Netzbetreibern zur Vermeidung von Gerichtsverfahren geschlossenen wurden, auf eine Prüfung bestimmter Kostenpositionen vollständig verzichtet haben. Die sich aus diesen lückenhaften Prüfungen ergebenden Mehrkosten tragen im Ergebnis die Netznutzer, ohne sich dagegen wehren zu können."

Der Bund und die Länder

Die Bundesregierung ist federführend in der Gesetzgebung und der Subventionierung der Energiewirtschaft.

    Ausbau der erneuerbaren Energien - Von einer Schnellstraße in einen holprigen Feldweg

Zwar wurde schon 1990 vom damaligen Umweltminister Töpfer der Grundstein für den Ausbau der erneuerbaren Energie gelegt, aber so richtig Fahrt nahm dieser Ausbau erst im Zuge des erstes Gesetzes zur Erneuerbaren Energien (EEG) im Jahr 2000 auf. Dessen wesentliche Bestandteile waren die garantierten Festpreise (durch die Einspeisevergütung) und der Vorrang für die Einspeisung von Ökostrom in das Netz. In den ersten 10 Jahren profitierte davon insbesondere der Ausbau der Windkraftverstromung, die sehr schnell für die Betreiber*innen rentabel wurde. Durch die ungeheure technologische Entwicklung und Kostensenkung binnen eines Jahrzehnts konnte der Windstrom preislich die Konkurrenz mit den konventionellen Kraftwerken aufnehmen. Sehr viele dieser Windparks an Land wurden von Bürgergenossenschaften oder Kommunen betrieben. Der Strom aus dieser Vielzahl von kleinen Windparks in der Größenordnung von unter 50 MW wurde von den Übertragungsnetzbetreibern abgenommen und zentral an der Leipziger Strombörse vermarktet (siehe unten).

Vor 10 Jahren begann der Siegeszug der Photovoltaik, deren Ausbau auch mittels garantierter Festpreisen durch das EEG gefördert wurde. Zur Veranschaulichung hier ein paar Zahlen zur Entwicklung des Ökostromanteils an der Stromerzeugung:

2000 6.3 %
2005 10.3 %
2015 31.5 %
2018 37.8 %
2020 fast 50 %
    Das EEG wird ausgebremst

2017 kreierte dann die GroKo die "Ausschreibungspflicht" für die Erneuerbaren. Das war das Aus für die kleinen Ökostromprojekte in Bürgerhand. Nur noch die großen Player können es sich leisten, allein für die Bewerbung Millionen Euro im Voraus auszugeben, um an dem Wettbewerb an den geplanten Standorten teilnehmen zu können. Bayern erfand die Mindest-Abstandsverordnung von den nächsten Wohnhäusern von 1 km und brachte damit den Ausbau der Windkraft zum völligen Erliegen. Als der Ausbau der Photovoltaik nicht gebremst werden konnte, erfand die Bundesregierung eine sogenannte Deckelung des Ausbaus mit deutlich gesenkten Vergütungen durch das EEG. Das gleiche gilt auch immer noch für die Windenergie. Ausnahme hier ist der Offshore-Windstrom, dem sogar die Bundesnetzagentur die erste sehr teure Unterseeleitung in der Nordsee bezahlte. Wer sind dort die Betreiber? Die 'notleidenden' Konzernriesen E.ON und EnBW!

Der Vorsitzende von 'Naturstrom' Banning kommentierte die jetzt anstehende Novellierung des EEG für 2021 in der Zeitschrift 'Neue Energie' vom Juli 2020: "Ehrlich gesagt ist das EEG ein Irrwitz geworden. Die Ansätze für diese Novellierung kommen viel zu kurz, weil sie immer noch die alte Energiewelt als Basis ansehen, an die sich die Erneuerbaren anpassen sollen. Und das Gesetz ist bereits so komplex, dass keiner mehr genau weiß,was drinsteht und wie sich das auswirkt".

Wie wir oben angedeutet haben, hat die Bundesregierung, egal ob rot-grün oder schwarz-rot, vornehmlich die Interessen der großen Player im Visier. Das jüngste Beispiel ist der "Streithilfeantrag" des Bundeswirtschaftsministeriums. Die Bundesregierung will RWE und E.ON im laufenden Verfahren vor dem Gericht der Europäischen Union verteidigen. In diesem Verfahren soll die Rechtmäßigkeit der Genehmigung des Milliardendeals durch die EU-Kommission überprüft werden. Gegen den Deal haben einige kleine kommunale Stromerzeuger und 'Naturstrom' wegen der drohenden Wettbewerbsverzerrung geklagt. Dieser wirtschaftliche und politische Beistand hat eine lange Tradition in Deutschland. Zu erinnern sei an die Zeiten des Ausbaus der Atomenergie vor 50 Jahren, wo insgesamt mehr als 200 Milliarden DM zur Förderung der Atomenergie durch den Staat zur Verfügung gestellt wurden. Und wer sich mal mit RWE beschäftigt hat, stößt schnell auf die enge Verquickung vieler Städte und Landkreise mit dem Konzern. Aufsichtsratsposten, Aktien-Beteiligungen oder der personelle Drehtüreffekt sind die bekanntesten Phänomene.

Das Umweltbundesamt hat zuletzt vor 4 Jahren einen Bericht zu den verheerenden Folgen der klimaschädlichen Subventionierung vorgelegt: "Die umweltschädlichen Subventionen in Deutschland sind weiterhin viel zu hoch und liegen 2012 bei nunmehr 57 Milliarden Euro. Über 90 Prozent dieser Subventionen belasten das Klima – und konterkarieren so die deutsche Umsetzung des Pariser Klimaschutzabkommens. Allein drei Milliarden Euro kostet es die Bürgerinnen und Bürger, weil der Staat das produzierende Gewerbe sowie die Land- und Forstwirtschaft bei der Strom- und Energiesteuer entlastet." Im Bereich der Kohleverstromung und der Befreiung von der Ökosteuer für die energieintensive Industrie listet das Umweltbundesamt eine Summe von 8 Milliarden € allein für ein Jahr auf. (Nebenbei: allein der Verzicht auf die Mehrwertsteuer und die Kerosinsteuer im Flugverkehr hat 2012 den Steuerbehörden einen Einnahmeverlust von 12 Milliarden € (!!) beschert.) Wolfgang Pomrehn hat für Europa aktuelle Zahlen vorgelegt: "Mit jährlich über 137 Milliarden Euro, so 'Investigate Europe', wird das Verbrennen von Kohle, Diesel, Benzin und Kerosin und damit das Anheizen der Klimakrise (in der EU) gefördert. Das passt weder zur Rhetorik der meisten Regierungen, noch zu den gemeinsam gefassten Beschlüssen."

Neuere Zahlen vom UBA gibt es leider nicht. Dabei wäre interessant zu erfahren wie sich die Befreiung von der EEG-Zahlung insgesamt weiter entwickelt hat. Eine Studie der Friedrich-Alexander Universität (FAU) Erlangen-Nürnberg im Auftrag der Elektrizitätswerke Schönau hat 2019 errechnet, dass u. a. durch die Befreiung von der EEG-Zahlung die energieintensive Industrie zwischen 5 und 17 cent/kwh zahlt. Zum Vergleich: die privaten Haushalte zahlten 2018: 29.48 cent pro kwh. Laut Pomrehn sind das 5.4 Milliarden Subventionen an die energieintensive Industrie. Gleichzeitig haben die großen deutschen Stromverbraucher aber erheblich durch den Aufstieg des Ökostroms profitiert. Die FAU hat errechnet, dass infolge des Ökostromanstiegs die Großhandelspreise kontinuierlich gesunken sind und dies einen Einspareffekt von 70 Mrd. € vor allem für die Industrie in den letzten 7 Jahren erbracht hat. In einer Modellrechnung haben die Wissenschaftler von der FAU herausgefunden, dass der Strom aus den fossilen Kraftwerken teurer gewesen wäre als die von den Verbrauchern aufgebrachte EEG-Umlage.

Die Stromhandelspreise an der Leipziger Strombörse (siehe unten) sind im Verlaufe des Atomausstiegs und der Zunahme des immer billigeren Ökostroms zwar kontinuierlich gefallen, dennoch steigen die Strompreise für privaten Kleinverbraucher kontinuierlich an, da die günstigeren Handelspreise nicht an sie weitergegeben werden. Ökostrom wird von den einzelnen Produzenten an eine Vermarktungsgesellschaft (die selbst auch Strom produzieren) oder den Übertragungsnetzbetreibern zum festgesetzten Einspeisevergütungspreis verkauft und dann an der Leipziger oder Pariser Börse teilweise günstiger verkauft, was den Großhandelspreis für die Industrie deutlich senkt. Die Differenz, die entsteht, erhält der Vermarkter an der Börse aus der EEG-Umlage.

Je stärker also der Preis an der Börse sinkt, desto größer ist der Differenzbetrag, der ausgeglichen werden muss. "Aha, vom billigen Ökostrom profitiere also nicht ich als Verbraucher, obwohl ich die EEG-Umlage bezahle, sondern die energieintensive Industrie, obwohl sie keine EEG-Umlage bezahlt" brachte es die ZDF-Anstalt-Kult-Figur, Herr Newton (Max Uthoff), auf den Punkt.

Die Leipziger Strombörse

Im Zuge der Liberalisierung des Strommarktes wurde die Leipziger Strombörse im Jahr 2000 für den Terminhandel und 2008 die Pariser Strombörse für den Spotmarkt gegründet. Der EEX gehört zur Hälfte die Pariser Börse. In Leipzig sind aber im Unterschied zur Frankfurter Wertpapierbörse nur eine begrenzte Anzahl von Händlern (sogen. Broker) zugelassen und die privaten Kleinverbraucher haben im Gegensatz zur Frankfurter Börse als Kleinaktionäre keinen Zugang. Im Leipzig und Paris werden nur die Großhandelspreise bestimmt. Sowohl zwischen den Anbietern als auch den Nachfragern besteht dabei ein Wettbewerb, der dazu führt, dass die günstigsten Angebote berücksichtigt werden und dass die Nachfrager, die am meisten bieten, zuerst den Zuschlag bekommen. Dabei herrscht Transparenz: Alle Teilnehmer haben Zugang zum gleichen Wissen über Angebot und Nachfrage. Ein wichtiger Aspekt ist auch die Liquidität, die eine große Börse ermöglicht: Auch große Strommengen sind dort erhältlich, ohne dass ein Interessent verschiedene Anbieter direkt anfragen müsste.

Im Jahr 2019 wurde in Deutschland eine Nettostromproduktion von 513 TWh (Angabe nach 'strom-report.de') erzielt. An der EEX wurden aber allein am deutschen Terminmarkt Kontrakte über 2596 TWh abgeschlossen. Wie hoch davon der Anteil von Preis- und Mengenabsicherung für die Laufzeit der Futures war und wie hoch der spekulative Anteil – das lässt sich nicht ermitteln. Immerhin mischen an der EEX auch zahlreiche internationale Großbanken mit. Und wohl nicht nur aus Eigeninteresse wegen des hohen Stromverbrauchs ihrer Großrechenanlagen. Dass Futures und Option auf Futures mehrfach gehandelt werden ist naheliegend, denn die Marktteilnehmer wollen sich ja sowohl gegen steigende wie gegen fallende Preise in der Zukunft, bis zu 6 Jahren im voraus, absichern. Wenn wir zudem berücksichtigen, dass nur ein Fünftel des produzierten Stroms (ca. 100 TWh) in Leipzig gehandelt wird, wird es noch undurchsichtiger. Warum ist die Menge der gehandelten Futures das 25-fache?

Aber der Strommarkt ist noch undurchschaubarer: Der weitaus grössste Teil, fast 80 %, der elektrischen Energie, wird nicht an der Börse gehandelt. Dieser "Over-the-Counter-Handel” (OTC-Handel, Handel "über den Tresen”) wird direkt zwischen Anbietern und Käufern durchgeführt oder über speziell beauftragte Broker. Die Verträge sind nicht öffentlich einsehbar. Im Gegensatz zur Börse kennen sich hier die zumeist großen Stromproduzenten und die Käufer aus der Industrie oder den großen Netzbetreibern. Die dort zustande kommenden Preise orientieren sich an den Börsenpreisen. Die Leipziger Börse hat also auch für den OTC-Handel eine Leitfunktion.

Ausblick

Wenn die Dezentralisierung der Stromproduktion in Deutschland und Europa gelingen soll, müssen die großen Konzerne wie RWE oder EdF in Frankreich vom Markt gedrängt und zerschlagen werden. Ebenso ist es notwendig, dass die EU und die Bundesregierung die Anerkennung der Schiedsgerichte im Rahmen der WTO aufkündigen. Vor diesen Sondergerichten können Konzerne Staaten bei Verstößen gegen den 'Investitionsschutz' verklagen. Wie aktuell Vattenfall die BRD auf über 4 Milliarden € Schadenersatz verklagt hat wegen des Atomausstiegs oder der deutsch/finnische Uniperkonzern den Staat Niederlande wegen des Kohleausstiegs in Holland. Des weiteren müssen die EU und die BRD den Energiecartavertrag (ECT) sobald wie möglich kündigen; denn dieses Vertragswerk schützt die Investitionen der fossilen Industrie vor verschärften Auflagen im Sinne des Pariser Klimaabkommens.@



 
 
Der E.ON - RWE-Deal

Im März 2018 verkündeten die Energiekonzerne RWE und EON eine Neuordnung ihrer Energiegeschäfte. Die RWE Tochter Innogy wird aufgespalten und Geschäftsteile auf die beiden Mutterkonzerne verteilt. EON übernimmt von Innogy das Geschäft mit Stromnetzen und dem Vertrieb von Strom. RWE konzentriert sich hingegen auf die Stromproduktion und erhält im Gegenzug von EON und Innogy die Sparten der erneuerbaren Energien und der Gasspeicher. Mit der vollständigen Übernahme der Ökostromsparte, darunter auch Offshore-Windparks in der Nordsee, wird RWE damit Europas drittgrößter Ökostromproduzent. RWE sichert sich in dem Milliardendeal aber auch eine Beteiligung von 16.7 % an EON, so dass beide Konzerne eng mit einander verflochten sind. Dagegen haben im Sommer 2020 zehn kommunale Energieproduzenten und 'Naturstrom' bei der Europäischen Kommission wegen drohender Wettbewerbsverzerrung Klage eingereicht. Die Kommission hatte der Fusion zugestimmt. "Zugleich annullieren sie (die EU-Kommission) die Liberalisierung des Energiemarktes und den dort geschaffenen Wettbewerb, den so viele kleinere Akteure in den letzten zwei Jahrzehnten gegen den Widerstand der Großkonzerne, allen voran RWE und E.ON, miterkämpft haben", heißt es in der Klagebegründung.

 
 


 
 
EEX Leipzig

Die European Energy Exchange (EEX) in Leipzig ist die umsatzstärkste Strombörse Europas.

Die EEX operiert mittlerweile weltweit in 17 Ländern und hat 650 zugelassene Teilnehmer bzw. Broker (Stand 2020), davon etwas mehr als 200 am umsatzstärksten Standort in Leipzig. Dabei handelt es sich um professionelle Stromhändler, Broker, Banken, Stromkonzerne und die großen Übertragungsnetzbetreiber. "Die Strombörse EEX ist nichts für Privatanleger. Hier wechselt täglich Energie in riesigen Größenordnungen den Besitzer - zu erstaunlich niedrigen Kilowatt-Preisen, von denen der Privatverbraucher nur träumen kann," schreibt das 'Handelsblatt' am 11.09.2017. Auf dem Terminmarkt in Leipzig werden Stromgeschäfte über eine Laufzeit bis zu sechs Jahren abgeschlossen. Damit kann eine längerfristige Preis- und Mengenabsicherung stattfinden, was sowohl für Großkraftwerksbetreiber wie für Großabnehmer wie z.B. die Chemie- oder Stahlindustrie von Vorteil ist. Handelsinstrumente sind Futures und Optionen auf Futures, also Terminkontrakte, in der Regel auf Monats-, Quartals- oder Jahresbasis. Handelsgüter sind Stromblöcke, die auf den unterschiedlichen Stromverbrauch im Tagesverlauf abgestellt sind: auf den Grundlastbereich mit einer Mindest-Handelseinheit von 24 MWh und auf den Spitzenlastbereich mit einer Mindest-Handelseinheit von 12 MWh. Darüber hinaus werden Einzelstundenblöcke zur Feinabstimmung im Spitzenlastbereich gehandelt und im sogen. Intraday-Handel sogar Viertelstundenkontrakte. Am Spotmarkt in Paris werden Strommengen für die Belieferung am Folgetag gehandelt.

 
 
 

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