Tschernobyl:

Sperrzone als Weltkulturerbe

von aaaRed

Ein Supergau erschüttert im April 1986 das AKW Tschernobyl in der heutigen Ukraine. Weite Landstriche werden radioaktiv verseucht, und Millionen Menschen einer hohen Strahlenbelastung ausgesetzt. .Tausende sterben, Zehntausende werden zwangsumgesiedelt. Die Betroffenen und die nachfolgenden generationen leiden noch heute unter den gravierenden gesundheitlichen und sozialen Folgen. Die Ukraine will nun die immer noch hoch verstrahlte Sperrzone, die um den havarierten Reaktor errichtet wurde, zum Weltkulturerbe erklären lassen.

Die Regierung in Kiew erhofft sich die Anerkennung von Teilen der verstrahlten Sperrzone als Welterbe – darunter Prypjat. Die Stadt wurde 1970 errichtet im Zusammenhang mit dem Bau des AKW Tschernobyl. Nach der Havarie im AKW 1986 wurden die Bewohner*innen zwangsumgesiedelt und die Stadt geräumt. Heute ist sie eine Geisterstadt.

Grundsätzlich können Stätten von "außergewöhnlichem universellen Wert", "Meisterwerke des menschlichen schöpferischen Genies" oder "Zeugnisse einer untergegangenen Zivilisation" Weltkulturerbe werden. Oder sie stehen in Zusammenhang mit einem bedeutenden Ereignis – wie hier mit einem atomaren Supergau. Mit dem Antrag bei der UNESCO will die Regierung in Kiew sicherstellen, dass die zerfallenden Gebäude auch für künftige Generationen erhalten bleiben und die Erinnerung an das schreckliche Geschehen in wachhalten – und den Tourismus fördern.

    Tourismusboom

Der Tourismus in der ziemlich abgelegenen Gegend boomt jedoch ohnehin trotz des Strahlenrisikos. Zahlreiche Reiseanbieter werben für ihre Touren durch die Sperrzone und spielen dabei das Strahlenrisiko herunter. Aber jede radioaktive Strahlung, der sich die Touristen aussetzen, gefährdet ihre Gesundheit. Außerdem wird immer wieder beobachtet, dass Touristen gerne verbotenerweise "Souvenirs" einsammeln - die zum Teil hoch radioaktiv belastet sind.

Inzwischen lässt man gegen Bezahlung Tourist*innen sogar in den hübsch aufgeräumten Block 4 – und sogar in den Schaltraum. Der liegt unterhalb des Reaktors – lange sollte man sich dort nicht aufhalten. Der Veranstalter wirbt damit, dass man bei einem einstündigen Flug über den Atlantik mehr Radioaktivität abbekäme – solange man sich denn an die Verhaltensregeln hielte!

    Ein Ort wie eine Geisterbahn

Die meisten der Kolchosengebäude oder alten Bauernhäuser in der verstrahlten Zone sind inzwischen abgerissen worden, zerfallen oder sind überwuchert. Gerade die Weltuntergangskulisse, die Prypjat bietet, scheint die Touristen jedoch anzulocken. Der Ort ist eine Art Geisterbahn, arrangiert mit Gasmasken, Puppen und Graffiti an den Wänden. Mit der einst 50.000 Einwohner*innen zählenden sowjetischen Musterstadt hat das nur noch wenig zu tun.

Wer das Ausmass der Katastrophe begreifen und verstehen will, wie die Menschen damals auf das Unglück reagierten, warum sie etwa nach der Explosion in dem in Sichtweite liegenden AKW dort bleiben wollten und zum Teil auch blieben, der müsste sich mit dem "alten Prypjat" und der Situation der dort lebenden und arbeitenden Menschen beschäftigen. Dann könnte die Erinnerung auch zu einer Lernerfahrung werden in Bezug auf die Nutzung der Atomenergie. Andernfalls geht es nur um Nervenkitzel.

    Kultur der Vertuschung

Nicht nur in Tschernobyl, sondern weltweit wurden atomare Störfälle und ihre Folgen für die Menschen oft erst im Nachhinein öffentlich bekannt und aufgedeckt. Desinformation und Vertuschung durch die politisch und wirtschaftlich Verantwortlichen sind dabei häufig an der Tagesordung.

Mit Beantragung des Welterbe-Status hofft die Regierung, dass sich Tourist*innen dort nicht mehr wie auf Schatzsuche benehmen, sondern den Ort als historisch begreifen. Die Unternehmer setzen darauf, dass die Bauten restauriert werden, ehe sie vollkommen zerfallen. Vor allem aber geht es ums Geld. Denn die Ukraine ist arm – mit Tschernobyl hat sie ein Erbe, das bewältigt werden muss – auch finanziell.@

 

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