Klima, Kohle, Kommission

Vom Ende der Kompromisse

von Tadzio Müller

Nach über zehn Jahren anti-Kohle-Bewegung, nach bald 20 Klimacamps und noch viel mehr verhinderten Kraftwerksneubauten; nachdem die sogenannten Radikalen von Ende Gelände bis #Hambibleibt gegen den erklärten Willen der moderaten NGOs den Begriff »Kohleausstieg« nicht nur salonfähig, sondern hegemonial gemacht haben; nachdem sie den Raum für zivilen Ungehorsam hierzulande massiv erweitert, und den Hambacher Wald verteidigt haben; nach Jahren der erfolgreichen Bewegungsoffensive und einem gut getimten Hitzesommer war es letztes Jahr so weit:

das politische System der BRD nahm sich in Gestalt der 31-köpfigen »Kohlekommission« endlich der Frage an: Wann steigt Braunkohleweltmeister Deutschland aus dem dreckigsten aller fossilen Brennstoffe aus, um eine hauchdünne Chance zu haben, die immer noch ungenügenden, aber im Vergleich ambitionierten Pariser Klimaziele zu erreichen?

    Korporatistischer Kokolores

Die enttäuschende Antwort: 2038, also erst dann, wenn das Weltklima sich schon unwiderruflich auf dem Weg in einen chaotischen Zustand befindet - oder durch das Erreichen von Kipppunkten schon dort ist. Und wer jetzt ruft, das Ausstiegsdatum sei gar nicht so wichtig, entscheidend seien die anderen, weniger sichtbaren Ergebnisse der Kommission, wann beispielsweise welche Kraftwerke abgeschaltet würden oder welche Dörfer und Bäume stehenbleiben könnten, der oder dem sei gesagt: Die Pariser Klimaziele werden krachend verfehlt, weil erst 2022 ein paar lausige Kraftwerksblöcke abgeschaltet werden. Zudem garantiert das - noch in Gesetze zu gießende - Ergebnis weder die Rettung des Hambacher Waldes noch die bedrohter Dörfer wie Pödelwitz, Proschim oder Keyenberg. Ein wirklich und wahrhaftig miserables Ergebnis.

Aber warum eigentlich? Warum hat die »Kohlekommission« in einer Situation, in der immer mehr Menschen den Klimawandel für eine größere Gefahr halten als terroristische Anschläge oder eine weitere Staffel Dschungelcamp so ein miserables Ergebnis produziert? Die kurze Antwort: Weil die Kommission darauf ausgelegt war, zwischen einer Reihe verschiedener Ansprüche – der Gewerkschaften und Kohlearbeiter*innen, der Regionen und Konzerne, der Anwohner*innen und des Klimas – zu vermitteln und zwischen diesen in allen Fällen rationalen Positionen einen Kompromiss zu finden. Aus dieser Perspektive ist der Beschluss der Kommission nachvollziehbar und mit Abstrichen möglicherweise sogar das Beste, was unser korporatistisches politisches System als Antwort auf die Klimakrise formulieren konnte. Und genau darin liegt das Problem, hier zeigt sich, warum es dem Zentrum wie der Linken so schwer fällt, adäquate Antworten auf die Klimakrise zu formulieren.

Politik, so eine ihrer langweiligsten und einflussreichsten Definitionen, ist die Kunst des Möglichen. Der Reaktionär Bismarck, dem dieser Aphorismus zugeschrieben wird, hat noch etwas zur real existierenden Politik gesagt: »Mit den Gesetzen ist es wie mit den Würstchen. Es ist besser, wenn man nicht sieht, wie sie gemacht werden.« In dem Sinne stellte die »Kohlekommission«, die in Wahrheit »Kommission für Wachstum, Strukturwandel und Beschäftigung« hieß, nomen est omen den absoluten Höhepunkt deutscher Staatskunst dar - die Kunst, allerlei gesellschaftliche Ansprüche, auch diejenigen, die sich diametral gegenüberstehen, miteinander ins Verhältnis zu setzen, zu vermitteln. Mehr noch: Wer sich den Diskussionsprozess genau anschaut, erkennt, dass da wirklich Himmel und Hölle in Bewegung gesetzt wurden. Vier große Ministerien hatten ihre Leute am Start, das deutsche politische System wollte das Thema wirklich abräumen.

Und trotzdem kam aus Klimaperspektive absoluter Mist raus. Nota bene: kein schlechter Kompromiss, sondern ein #epicfail. Und es sei daran erinnert: Die Klimaperspektive hat nix mit Eisbären zu tun, sie ist eine Gerechtigkeitsperspektive, denn am Klimawandel leiden – von hier aus betrachtet – vor allem Menschen an anderen Orten, die nur sehr, sehr wenig zum Problem beigetragen haben.

Und wieder die Frage: warum? Na gut, die Klimaziele werden nicht eingehalten, könnte man jetzt antworten, aber so sind politische Verhandlungen halt – die Klimas konzedieren etwas, die Gewerkschaften ebenso, und die Regierung buttert das Ganze mit den notwendigen Milliarden, um die Länderfürsten und die verschiedenen am Trog Sitzenden abzuspeisen. Und am Ende ist niemand ganz glücklich, aber alle haben etwas bekommen. Gibt es nicht endlich den »Einstieg in den Ausstieg«, mit dem die in der Kommission sitzenden Umweltverbände ihre Zustimmung zum Ergebnis begründeten? Sind ein paar Gigawatt, die 2022 abgeschaltet werden, nicht besser als gar keine Gigawatt?

    Externalisierte
    Folgeschäden

Und darin liegt der Trick: Weil »das Klima« (genauer: das komplexe globale Klimasystem) eben weder Umweltverband noch Gewerkschaft ist, weil es eine materielle, physische Logik hat, die sich fundamental von einer Verhandlungslogik unterscheidet, entzieht sich das Klima dem Zugriff der Politik als Interessenausgleich. Das bedeutet, dass die Logik »Ich gebe dir mehr Rente, du gibst mir mehr Klima« hier nicht funktioniert. Denn die berüchtigten Kipppunkte bedeuten, dass, wenn wir einmal bestimmte Ziele verfehlt haben, wir sie nicht ein paar Jahre später nachholen können. Hinzu kommt noch der enorme Zeitdruck, der das Klimathema wie auch andere globale sozial-ökologische Krisen wie den Biodiversitätsverlust von anderen politischen Themen unterscheidet: Letztere lassen sich immer noch mal auf die lange Bank schieben, lassen sich auch in zehn Jahren oder zumindest während der nächsten Legislaturperiode lösen. Wer das – wie die Kohlekommission – mit dem Klima tut, produziert vieles, aber keinen Klimaschutz.

Als solches ist die Kommission ein Paradebeispiel der Dynamik, die der Soziologe Stephan Lessenich als »Externalisierungsgesellschaft« beschrieben hat: Die Kosten eines jeden gesellschaftlichen Ausgleichs, jedes Klassenkompromisses, jedes Bisschens Krisenkorporatismus – mithin des gesamten Wohlfahrtsstaats – werden auch und ganz zentral von der Unterdrückung, der Ausbeutung und dem Leiden anderer Menschen anderswo erkauft.

Danke, Koko. Das musste dem Rest der Welt nochmal gesagt werden: Suck it!@

aus: analyse & kritik: ak 646

Tadzio Müller ist Referent für Klimagerechtigkeit bei der Rosa-Luxemburg-Stiftung
und aktiv bei Ende Gelände.

 

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