Bure ist überall

- jetzt auch in Dortmund

Zum Hintergrund der Razzia


Am 04.07.2018 drangen schwer bewaffnete Uniformierte gewaltsam in die Räume des Wissenschaftsladen Dortmund e.V. ein, durchsuchten die Räume und beschlagnahmten mehrere Server sowie Vereinsunterlagen.

Laut Durchsuchungsbeschluss vom Amtsgericht Köln sind über eine Website auf dem zu beschlagnahmenden Server Dokumente verbreitet worden, die von IT-Systemen der französischen Firma Ingérop durch Unbekannte entwendet wurden. Durch die Beschlagnahme des Servers sollten Hinweise auf die Entwender der Dokumente gefunden werden.

Durchsuchung und Beschlagnahme im WiLaDo hängen mit dem Widerstand gegen das geplanten Atommüll"end"lager Bure in Lothringen zusammen.

Als Antwort auf die Razzien in Bure am 20. Juni 2018 wurden am 21.Juni auf dem bei uns beschlagnahmten Server Dokumente des Unternehmens Ingérop, das am Endlagerprojekt CIGEO beteiligt ist, veröffentlicht. Das französische Computer Emergency Response Team (CERT) hatte daraufhin die Cybercrime-Einheit des LKA Köln zu dem Einsatz gegen "Unbekannt" veranlasst, der sich faktisch gegen den WiLaDo und den Langen August richtete.

  • Widerstand gegen CIGEO

Gegen das Projekt Cigéo - den Bau eines Endlagers für hochradioaktiven Müll in Bure- gibt es schon seit Jahren vielfältigen Protest und Widerstand. In den letzen Jahren hat sich die Situation jedoch verschärft.

Die Andra startete 2016 überraschend die Bauarbeiten im Wald, obwohl sie dafür weder eine Rodungs- noch eine Baugenehmigung besaß. Sie wollte eine vier Kilometer lange und drei Meter hohe Mauer rund um die 221 Hektar Wald errichten, um Bohrungen für die künftigen Luftschächte des Endlagers durchzuführen - abgeschirmt vom Protest der Projektgegner*innen.Um das zu verhindern, besetzten Atomkraftgegner*Innen im Sommer 2016 den Wald Bois Lejuc. Die Bauarbeiten ruhen seit dem 1. August 2016 in Folge eines gerichtlich verhängten Baustopps, der Zerstörung des begonnenen Mauerwerks durch Projektgegner*innen und der Besetzung des Waldes.

Die Besetzung wurde im Laufe der Zeit größer, es wurden zahlreiche Hütten und Baumhäuser gebaut, die "kauzigen Eulen" von Bure, wie die Aktivist*innen genannt werden, sind zum Symbol des Widerstandes gegen das atomare Endlager geworden. Die Regierung fürchtete eine dauerhafte Verankerung des direkten Widerstandes. Deshalb wurde die Waldbesetzung - ohne Vorwarnung und Rechtsgrundlage - am 22. Februar 2018 durch 500 Militärpolizisten geräumt.

Die zunehmende Repression gegen den Protest hat im Laufe der Zeit zu einem Anwachsen des Widerstands geführt. In ganz Frankreich und auch in anderen Ländern haben sich Unterstützer*Innengruppen gebildet. Der Widerstand "droht" sich zu verfestigen. Der Atomstaat versucht das durch eine Militarisierung der gesamten Region zu verhindern: Besatzung,Überwachung, Kontrollen, Hausdurchsuchungen und abstruse Verurteilungen gehören mindestens seit der Räumung des besetzten Waldes im Februar zum Alltag.

Am 20.06.18 gab es Razzien an 14 Orten.

  • Angriff auf Ingérop

Als Antwort auf die Razzien in Bure startete die Kampagne Les Monstres de Cigéoam 21.Juni 2018 mit einem erfolgreichen Angriff auf die IT-Systeme des Unternehmens Ingérop. Bei den Dokumenten handelt es sich unter anderem um Pläne von vier französischen Gefängnissen und Unterlagen zur Infrastruktur des AKW Fessenheim, die auf dem beschlagnahmten Server veröffentlicht wurden.

Ingérop hat nach eigenen Angaben weltweit 1700 Mitarbeiter . Das französische Unternehmen ist an zahlreichen umstrittenen Projekten beteiligt, darunter Cigéo aber auch TAV (Tunnel zwischen Lyon und Turin).

  • Die Kampagne: Les Monstres de Cigéo

Unternehmen, die am Bau von Cigéo beteiligt sind, soll der "Spaß" daran verleidet werden. In dem Aufruf zur Kampagne heißt es: "Let's start focusing on all their weak points until ANDRA has no contractors anymore to do their dirty jobs." Schon im Dezember 2017 wurde eine erste Liste von Behörden und Unternehmen, die an Cigéo beteiligt sind, veröffentlicht. Die Cigéo-Gegner*innen rufen zu dezentralen, kreativen Aktionen auf. Die Liste wurde später um mögliche Ziele für dezentrale Aktionen im deutschsprachigen Raum ergänzt; u.a. Framatome, Airbus und EDF (Électricité de France, betreibt 58 AKWs). EDF Deutschland hat Tochtergesellschaften und Beteiligungen an Unternehmen an verschiedenen Standorten.

  • Rechtsfreie Räume - für die Polizei

Hamburg

In Sachen Repression gegen Protestaktionen scheinen deutsche und französische Behörden zumindest seit den G20-Protesten 2017 in Hamburg intensiv zusammen zu arbeiten. Wir kennen die Situation in Frankreich nicht näher, aber die Hamburger Polizei hat während des G20 gezeigt, dass sie sich nicht an geltendes Recht hält. Dazu nur ein Beispiel: Das Protestcamp in Entenwerder wurde trotz ausdrücklicher Genehmigung durch das Hamburger Verwaltungsgericht geräumt.

Dortmund

Auch bei der uns betreffenden Durchsuchung am 04.07.18 hat die Polizei ihre Befugnisse massiv überschritten. Der Durchsuchungsbeschluss war für die Räume des Wissenschaftsladen Dortmund e.V. ausgestellt. Durchsucht wurden jedoch etliche weitere Räume im Langen August. Dabei wurden insgesamt 5 Türen zerstört. Die im Haus Anwesenden wurden teilweise über 2 Stunden im Langen August fest gehalten. Sie durften keinerlei Kontakt nach außen aufnehmen, weder Handy noch Laptop benutzen. Und das nur, weil in den Räumen eines anderen Vereins im Haus ein Server beschlagnahmt werden sollte.

So fragwürdig wie die Beschlagnahme überhaupt ist, der Verlauf von Durchsuchung und Beschlagnahme zeigt eindrücklich, dass sich weder das LKA Köln noch die Dortmunder Polizei an rechtsstaatliche Grundsätze gebunden fühlen. So durchsuchten sie auch die Räume des Chaostreff Dortmund, dem lokalen Ableger des CCC. Eine Straftat wurde den in den CTDO-Räumen Anwesenden zwar nicht vorgeworfen, der Einsatzleiter sprach jedoch Drohungen aus. "Wir wurden behandelt wie Straftäter, obwohl uns rein gar nichts vorgeworfen wird. Die Polizei marschierte in unsere Räume mit dem Wissen, dass der Durchsuchungsbeschluss sie gar nicht umfasste", sagte ein Mitglied des CTDO, der bei der Durchsuchung anwesend war.

Augsburg, Jena, Berlin und Dresden

Der ungebetene "Besuch" der Polizei im Langen August kam wenige Tage nach den Durchsuchungen bei den Zwiebelfreunden in Augsburg, Jena, Berlin und Dresden. Der Zwiebelfreunde e.V. ist ein gemeinnütziger Verein, der Technologie und Wissen im Bereich Anonymität, Privatsphäre und Sicherheit im Internet fördert, zur Nutzung bereit stellt und deren Verbreitung unterstützt. Der Zwiebelfreunde e.V. betreibt unter anderem das erfolgreiche Torservers.net Projekt. Die Begründung der Durchsuchungen bei den Vorständen des Zwiebelfreunde e.V. ist abenteuerlich und lässt keinerlei Realitätsbezug erkennen. Auch dort wurden polizeiliche Befugnisse in unverhältnismäßiger Weise auf Zeugen und völlig Unbeteiligte ausgeweitet. So musste auch der Augsburger Ableger des CCC im dortigen OpenLab eine Durchsuchung über sich ergehen lassen. Dort entdeckten die Beamten einen Gegenstand den sie für das Modell einer Atombombe hielten. Dieser Gegenstand wurde natürlich beschlagnahmt. Das Delikt: Herbeiführung einer Sprengstoffexplosion. Details zu diesen Durchsuchungen auf der Seite des CCC.

Und viele andere mehr

Das waren nur einige Beispiele für überzogene Maßnahmen und Überschreitungen des Erlaubten durch die Polizei. Es stellt sich darüber hinaus aber auch die Frage, wie es überhaupt zu richterlichen Beschlüssen mit derart absurden Begründungen kommen kann. Die Beschlagnahme unserer Vereinsunterlagen soll zB Erkenntnisse über die hinter Systemausfall stehenden Personen bringen. Um das heraus zu finden, hätte ein Blick auf das Impressum von www.systemausfall.org ausgereicht. Das Rostocker Amtsgericht hätte den Kollegen sicher einen Vereinsregisterauszug zukommen lassen. Sicherlich kann man nicht von jedem Richter erwarten, dass er sich mit den technischen Grundlagen des Internet auskennt. Wenn aber das sog. "Cybercrime-Kompetenzzentrum" mit solch einer Begründung eine Beschlagnahme beantragt, wird das wohl nicht an fehlendem Wissen über das Internet liegen.

Es drängt sich daher der Schluss auf, dass Richter gezielt belogen werden, damit Polizei und Staatsanwaltschaft die gewünschten Beschlüsse erhalten. Dies gilt auch für die Beschlagnahmung des gesamten Gehäuses mit vier Servern, statt nur des einen, vom richterlichen Beschluss bezeichneten Servers. Im jüngsten Schriftsatz des Kölner Amtsgerichts wird unsere Beschwerde auf Herausgabe der anderen Server mit der Begründung abgelehnt, dass ein Ausbauen des systemausfall-Servers nicht zerstörungsfrei möglich sei.

Hierzu gibt es zwei Möglichkeiten:

  • Die Polizei belügt den Richter.
  • Die Polizei schreibt die Wahrheit, woraus folgt, dass selbst ihre Cybercrime-Spezialeinheit nicht in der Lage ist, mit Hilfe eines Kreuzschlitzschraubendrehers die vier Schrauben des Gehäuses zu lösen, den Deckel abzuheben, und schließlich eine beschriftete Festplatte zu erkennen und abzuziehen.

Durch die geplante Verschärfung der Polizeigesetze in Nordrhein-Westfalen und anderen Bundesländern könnte willkürliches Vorgehen der Polizei bald zum legalisierten Alltag werden. Wir brauchen keine verschärften Polizeigesetze, sondern Nachschulungen bei den Verantwortlichen, wenn nicht einmal mehr Gebote wie Wahrheit, Unschuldsvermutung und Verhältnismäßigkeit zu gelten scheinen.@

Quelle: www.wissenschaftsladen-dortmund.de 11.7.18

 

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