Irrungen, infame Lügen und Täuschungen

zum ASSE-Desaster

- Rückblick eines betroffenen Zeitzeugen


von Rolf Bertram,
zur Jahreswende 2017/2018

Die Atommüllproblematik und damit auch die einmalige Situation in Asse ist ohne Rückschau auf die Anfänge der Atomtechnik nicht zu verstehen:

    Geschichtlich

Mit einem Propagandaaufwand ohnegleichen wurde in den fünfziger Jahren weltweit eine Euphorie für Atomenergie entfacht. In schillernden Bildern wurden die vermeintlich künftigen Errungenschaften des Atomzeitalters mit all ihren Verheißungen gepriesen. Unter dem Slogan "sauber, sicher und billig" wurde die "Atomkraft" als die Rettung vor allen künftigen Energieproblemen angepriesen. Sie sollte der Menschheit ein wahres Paradies auf Erden bescheren. (Das Batelle-Institut, selbst Mitglied im Deutschen Atomforum und aktiv an Forschungen zur Kernspaltung beteiligt, formulierte das in einer vom Bundesministerium für Forschung und Technologie (BMFT) 1977 in Auftrag gegebenen Analyse so: "Die Propaganda für Atomstrom dient der Infantilisierung des Passivbürgers."

Der Start für diese verhängnisvolle Entwicklung erfolgte 1953 mit der euphorischen Rede des US-Präsidenten zur "friedlichen Nutzung der Kernenergie". Noch heute ist ungeklärt, ob EISENHOWER mit dem Titel "atoms for peace" einen fulminanten PR-Gag landen wollte oder ob er wirklich an den vermeintlichen Segen der Atomenergie geglaubt hat. Zunächst ging es um die Beschaffung und Erzeugung von "Brennstoff" für Reaktoren. Ausgewählt wurde Plutonium, dass sich auch vorzüglich als bombentaugliches Material verwenden lässt. (Es war die Phase des "kalten Krieges" !) Einflussreichen Seilschaften des "militärisch-industriellen Komplexes" gelang es, mit Korruption und falschen Daten ein weltumspannendes Netz des "Atomzeitalters" zu knüpfen . Und das mit Duldung und Förderung fast aller Regierungen !

In vielen Ländern wurden Forschungszentren errichtet, in denen quasi abgeschirmt aber unter exklusiven Bedingungen streng geheime Forschungsarbeiten durchgeführt wurden (in Deutschland vorrangig in Karlsruhe und Jülich). Selbst maßgebende Politiker wussten nicht, was sich dort abspielte. Man vertraute den "Verheißungen" und bewilligte riesige Forschungsmittel. Starke Lobbygruppen sorgen bis zum Tag dafür, dass diese Geldquellen weiter sprudeln. Mit der Legende eines bevorstehenden Energieversorgungsnotstands ("Ohne Atomenergie gehen die Lichter aus") wurden zweifelnde Politiker zum Schweigen gebracht und die Zustimmung der Öffentlichkeit erwirkt.

    Von den "radioaktiven Rückständen" zum ATOMMÜLL

Obwohl bereits zu jener Zeit in den offiziellen Verlautbarungen die Bedeutung einer sicheren Entsorgung der "radioaktive Rückstände" erwähnt wurde, vergingen nahezu 20 Jahre ehe der Gesetzgeber1976 die Forderung "nach einer geordneten Entsorgung" erhob. Die vom Atommüll ausgehenden Gefahren waren sehr früh bekannt, wurden aber immer wieder von den Protagonisten der Atomenergie verleugnet. Frühe sachkundige Mahner -darunter mehrere Nobelpreisträger-, die wiederholt auf die unlösbaren Probleme bei der Endlagerung des Atommülls hinwiesen, wurden diskriminiert und verloren z.T. ihre Stellungen in Forschungsinstitutionen und Universitäten. Begründete Argumente gegen die Atomenergie wurden als Panikmache von Hinterwäldlern und "Strahlenneurotikern" abgetan, die dem Fortschritt im Wege stünden und die Zeichen der Zeit nicht erkannt hätten.

Konnte man bisher - wie die Historie zeigt- Technikfolgen einigermaßen abschätzen und Vorsorge treffen, so versagt bei der Endlagerung wegen der geologischen Zeiträume jede Art von Schadensprognose . Wenn z.B. in der Endlagerdebatte immer noch behauptet wird, man könne mit Hilfe "fortgeschrittener Rechenmethoden" Prognosen für 1 Mio Jahre treffen, so ist das eine bewusste Irreführung. Wer sich anmaßt , zu wissen wie die Verhältnisse in 1000 oder sogar in 100 000 oder 1 Mio Jahren sein werden, ist entweder intellektuell behindert oder ein Scharlatan. All unser Wissen beruht auf Erfahrungen und Erkenntnissen aus Gegenwart und Vergangenheit. Was man in ferner Zukunft wissen wird, ist reine Spekulation. Wir können uns also nicht auf den Standpunkt stellen, dass es nachkommende Generationen schon richten werden. Schon gar nicht lässt sich etwas über die Stabilität politischer Verhältnisse für derartige Zeiträume voraussagen. (das sind Zeiträume, in denen mehrere Tausend Legislaturperioden ablaufen)

Unter dem Einfluss der Atomlobby wurden Gesetze und Verordnungen erlassen, in denen die Beseitigung des Atommülls als mach- und kontrollierbar hingestellt wurde (Atomgesetz, Strahlenschutzverordnung).

    Der eigentliche Skandal um ASSE Zwei verhängnisvolle Lügen:

1. Unter Missachtung wiederholter Warnungen und Hinweise auf Wasserzuläufe aus dem Deckgebirge wurde behauptet, der Schacht ASSE II sei trocken und für die Einlagerung von Atommüll geeignet.

2. Den Anwohnern wurde jahrzehntelang versichert, man habe alles im Griff und im Übrigen handele es sich ja überwiegend um harmlose Krankenhausabfälle. Tatsächlich sind mehr als 90% des eingelagerten Atommülls radioaktive Rückstände aus Atomkraftwerken. ( Beispielsweise lagern die Rückstände vom AVR-Jülich z.T. in den Einlagerungskammern der ASSE. Aus diesen stammen zweifellos wesentliche Teile des inzwischen festgestellten Tritiums und des C-14. Mit der Abluft gelangen diese biologisch höchst gefährlichen Betastrahler ungefiltert in die Umwelt. Bis vor kurzem wurde die Rückhaltung von Tritium und C-14 von den Aufsichtsbehörden nicht einmal gefordert.)

An der Vernebelung des wahren Sachverhalts sind politische, administrative und wissenschaftliche Instanzen gleichermaßen beteiligt. Letztere haben ungeprüft Hypothesen und fragwürdige Modellierungen als wissenschaftlich gesicherte Erkenntnisse hingestellt und damit der Einlagerung riesiger Mengen erst Vorschub geleistet.

Mit der Duldung und Förderung solcher Vorkommnisse haben die Regierenden ihre Sorgfaltspflicht und die politischen Gremien ihre Kontrollfunktion grob vernachlässigt. Die Zeit des Beginns der verantwortungslosen Atommüllentsorgung habe ich miterlebt. Fragesteller und Warner wurden verunglimpft. Die Stimmung in den 70ern sind beispielhaft durch einige damals kursierende mich persönlich treffende Sprüche gekennzeichnet: "….man müsse ihm die Lehrbefugnis entziehen, da er in seinen Vorlesungen mit falschen Daten und Rechnungen vermeintlich belegen könne, dass für eine künftige Stromversorgung keine Atomkraftwerke benötigt würden. Mit einem solchen Unsinn würden die Studierenden zutiefst verunsichert …" (Physikprofessoren aus Braunschweig und Göttingen) und "…man hätte ihn (also mich) zusammen mit anderen aktiven Elementen beizeiten auf Nimmerwiedersehen in den Tiefenaufschluss (Asse) verbringen sollen…" ("Wissenschaftler" aus Clausthal)

Die Zuverlässigkeit der Sicherheitssysteme wurde trotz zahlreicher Reaktorpannen erst ernsthaft infrage gestellt nach der Katastrophe von Tschernobyl – in Japan erst nach Fukushima. Erst ganz allmählich beginnt man zu begreifen, dass es prinzipiell unmöglich ist, Risiken von Prozessen zu bestimmen oder abzuschätzen, die in Mischsystemen ablaufen. Die Schachtanlage ASSE gehört systemtheoretisch in eine Kategorie, in dem verlässliche Modellierungen und Berechnungen nicht möglich sind. Aufgrund der eingelagerten Komponenten (radioaktive wie chemisch aktive) lassen sich zwar gewisse Ereignisse benennen, es ist aber nicht möglich zu bestimmen, wann und mit welcher Häufung und Folgewirkung diese Ereignisse eintreten. Es ist auch kaum möglich, Analogieschlüsse zu ziehen, da weltweit ein System wie in ASSE nicht existiert und deshalb auch keine Erfahrungen vorliegen.

Abschätzungen mit Computersimulationen sind wegen des Mangels an gesicherten Daten mit großen Unsicherheiten verbunden. Bei den geforderten Sicherheitsbetrachtungen (Prognosen) wird kaum beachtet, dass sich mit fortschreitender Lagerzeit der Zustand des eingelagerten Materials permanent verändert. Damit verändern sich auch ständig die für eine Prognose erforderlichen Parameter. Einer Zustandsbeschreibung des "Innenlebens" von Asse sind daher Grenzen gesetzt. (während meiner Amtszeit an der TU Braunschweig habe ich in den 80iger Jahren über mehrere Semester Vorlesungen über "Physikalische Chemie der Grenzflächen" und über "Mehrstoffsysteme" gehalten und regelmäßig Seminare über "Elektrochemische Energieumwandlung" betreut) Das Atomzeitalter hat nicht nur die Möglichkeit geschaffen, ungeheure Energie freizusetzen, es hat uns auch an die Grenzen der Planbarkeit und der wissenschaftlich fundierten Prognosen geführt

    Gegen die immer noch zu hörende Formel "man habe es ja zu dem Zeitpunkt nicht besser gewusst", sprechen viele Aussagen

Prof. Erich Huster, Direktor des Instituts f. Kernphysik Münster warnte schon 1977 in einem offenen Brief vom 28. 02. 1977 an den damaligen Bundespräsidenten Scheel: "Fast alles was dem Volke über die Kernenergie offiziell mitgeteilt wurde und wird, ist einfach nicht wahr. Es stimmt nicht, dass sie billig, sauber, umweltfreundlich und praktisch gefahrlos ist. Schon im Normalbetrieb geben die Leichtwasser-Reaktoren in Abluft und Abwasser so viel radioaktive Stoffe ab, dass Ihre verehrte Gattin ihr Krebshilfswerk getrost einstellen kann. Die Zahl der Krebsfälle nämlich, die einige dieser Stoffe notwendig erzeugen müssen, kann durch KEINE noch so umfassende Hilfe ausgeglichen werden."

Seit Jahrzehnten warnen viele verantwortungsbewusste Wissenschaftler vor den Folgen radioaktiver Stoffe und ihren zerstörerischen Auswirkungen auf die Erbanlagen und die Gesundheit von Menschen, Tieren und Pflanzen. (Albert.Schweitzer 1957,Bertrand Russel, Günter Anders (1950),der Genetiker Prof.Muller (1951),Hans Jonas, Jürgen Habermas) und v.a.

Obwohl in radioaktiv verseuchten Gebieten massive Erbschädigungen, Krebs und eine erhöhte Sterblichkeit eindeutig nachgewiesen sind, wird von der Atomindustrie und der im selben Boot sitzenden IAEO immer noch versucht, diese Gefahren zu verharmlosen. Mit dem Hinweis auf den Grenzwert- – für mich das Unwort der Letzten Jahrzehnte – wird immer wieder versucht, die Wirkung von Radioaktivität herunter zu spielen.

Außeracht bleibt dabei, dass bereits die ICRP (in Nr.9, 1949) formuliert: "Es müsse aber betont werden, daß diese Grenzwerte keinen richtigen Kompromiss zwischen Schaden und Nutzen darstellen, weil die Risiken nicht abzuschätzen sind, eben so wenig der Gewinn, der diese Bestrahlungen rechtfertigen würde." Entsorgung von Atommüll heißt vollständige Isolierung gegenüber natürlicher Erosion und menschlichen Eingriffen. Dass das nicht über 10.000, ja noch nicht einmal über 30 Jahre möglich ist, wird in ASSE bestätigt.

    Epilog

Viele Politiker (sog. Entscheidungsträger) wursteln weiter wie bisher nach dem Motto "irgendwann werden sich die Probleme schon lösen lassen"…Heute wissen wir: Nach dem derzeitigen Wissensstand ist eine Lösung des Atommüllproblems nicht in Sicht. Ungeachtet dieses Sachverhalts wächst der Atommüllberg ständig weiter. Meine Vorwürfe richten sich an die Politiker, die eine solche Entwicklung tolerieren und fördern. Aber auch an die Wissenschaftler, die überhaupt erst die Voraussetzungen geschaffen haben. Diese Wissenschaftler litten nicht unter moralischen Skrupeln, sondern begnügten sich einfach damit, die Entscheidung über die Anwendung ihrer Erkenntnisse anderen zu überlassen. Neben den bewussten Hasardeuren gab es nicht wenige Wissenschaftler und Politiker mit Wahrnehmungsdefiziten. Auch heute noch gibt es Viele, denen immer noch nicht die Tragweite ihres Handels oder ihrer Unterlassungen bewusst ist. Spätere Generationen werden hilflos vor diesem Problem stehen. Denn auch sie werden vermutlich kein sicheres Endlager finden. Noch viele Generationen nach uns werden unter den Folgen dieser menschenverachtenden Technik leiden. Das gilt auch für ferne Zeiträume, wenn alle Akw längst abgeschaltet sind und wenn -vermutlich- schon gar keiner mehr weiß, dass eine derart lebensfeindliche Technik einmal existierte.

"Atommülldeponien werden die einzigen Zeugen sein, dass es den Raubaffen Mensch einmal gab" (Dürrenmatt)
Dennoch

VENCEREMOS - WE SHALL OVERCOME

 

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