Hiroshima und Nagasaki:

Hibakusha sind Menschen, die den Vernichtungsirrsinn überlebt haben; was kann ihre/unsere Hoffnung auf eine atomwaffenfreie Welt nähren? Bei UN-Verhandlungen in New York wird über unterschiedliche Wege gestritten.

von Ulrich Kühn

"Hibakusha" – das Wort steht im Japanischen wörtlich für "Explosionsopfer" und bezeichnet die Überlebenden der Atombombenabwürfe auf Hiroshima und Nagasaki vor 70 Jahren. "Überlebende" oder "Überlebender" sind in der deutschen Sprache gleichsam Wörter, die sowohl ein ungefähres und schwer zu definierendes Grauen andeuten, als auch ein implizites Erstaunen über den Umstand, ‚noch immer am Leben zu sein‘, transportieren. Dem Prinzip Hoffnung unterworfen – bei Albert Camus definiert als "die überwundene Verzweiflung" – haben die Hibakusha, gezeichnet vom Grauen des Erlittenen, sich der Zukunft als Heimstatt einer nicht-wiederkehrenden Hölle hoffnungsvoll verschrieben. Sie bilden somit die (noch) lebende und erlebbare ‚Brücke‘ zwischen historischem Sündenfall und gegenwärtiger Friedens- und Sicherheitspolitik – zwischen moralischer Verpflichtung und politischer Sachlage.

Mit dem inzwischen 74-jährigen Soh Horie war am 3. Juni 2015 ein solcher Hibakusha – ein Überlebender der nuklearen Bombardierung Hiroshimas – nach Berlin gekommen. Der Anlass seines Besuchs war die von der Böll-Stiftung organisierte Veranstaltung "70 Jahre Hiroshima und Nagasaki: Zeit für ein Atomwaffenverbot?" Dabei machte der Titel der Veranstaltung bereits zweierlei sehr deutlich. Obwohl die Atombombenabwürfe auf Japan inzwischen 70 Jahre zurückliegen, haben sich die beiden bisher einzigen militärischen Einsätze dieser unterschiedslos tötenden Waffenkategorie tief in das kollektive Gedächtnis der Menschheit eingegraben. Auch 70 Jahre später stehen die Namen der beiden Städte sinnbildlich für den Vernichtungsirrsinn des 20. Jahrhunderts. Gleichzeitig zeigt sich am weiteren Fortbestand nuklearer Waffen und damit verbundener Einsatzdoktrinen, dass es der Menschheit bisher noch nicht gelungen ist, einen global gültigen Grundkonsens zu ihrer völligen Abschaffung herzustellen.

Soh Horie, der zum Zeitpunkt der Bombardierung Hiroshimas vier Jahre alt war, kommentiert diesen bedauerlichen Umstand mit einer Mischung aus Demut und appellativem Gestus. "Wenn bereits ein kleiner Teil meiner heutigen Rede dazu beitragen könnte, die Politik zur Abrüstung von Nuklearwaffen zu unterstützen dann wäre ich sehr glücklich", so der 74-Jährige in seiner Begrüßungsansprache. Seinen Wunsch für die Zukunft formulierte er dafür umso deutlicher: "Lassen Sie uns eine Welt ohne Kernwaffen schaffen!"

    Step by Step ./. Humanitarian Pledge

Die sich daran anschließende Diskussion zwischen Susanne Baumann, Stellvertretende Beauftragte der Bundesregierung für Abrüstung und Rüstungskontrolle, Agnieszka Brugger, Sicherheitspolitische Sprecherin der Bundestagsfraktion Bündnis 90/Die Grünen und Martin Hinrichs, Vorstandsmitglied der Internationalen Kampagne zur Abschaffung von Atomwaffen (ICAN) in Deutschland, führte den rund 80 anwesenden Gästen dann die Gegensätze und aktuellen Schwierigkeiten in der Debatte um weitere nukleare Abrüstung deutlich vor Augen.

Zunächst einmal ist Deutschland Mitglied in der NATO – ein Verteidigungsbündnis, das seine Sicherheit auch aus dem Besitz von Nuklearwaffen bezieht. Im rheinland-pfälzischen Büchel sind circa 20 amerikanische nukleare Kurzstreckenwaffen stationiert. Im Verteidigungsfall könnten Bundeswehrsoldaten diese Waffen ins Ziel fliegen. Gleichzeitig ist Deutschland traditionell ein starker Unterstützer nuklearer Rüstungskontrolle und Abrüstung. Die deutsche Außenpolitik versucht seit jeher, diese beiden gegensätzlichen Positionen so gut es geht in Einklang zu bringen; gerät jedoch dabei zusehends in Erklärungsnöte, da neue zivilgesellschaftliche Akteure die bekannten Narrative offizieller deutscher Politik herausfordern.

Bei diesen neuen Akteuren handelt es sich um eine bunte Koalition zivilgesellschaftlicher Gruppen, wie beispielsweise ICAN, und staatlicher Abrüstungsbefürworter wie Österreich, Norwegen oder Mexiko. Ihr gemeinsamer Ausgangpunkt sind die gravierenden negativen Effekte eines nuklearen Einsatzes für Mensch und Umwelt, veranschaulichtbeispielsweise durch Überlebende wie Soh Horie. Studien zu den teils verheerenden klimatischen Folgen eines nur begrenzten Einsatzes taktischer Nuklearwaffen (Stichwort: "nuklearer Winter") untermauern ihre Argumente. Frustriert vom Unvermögen der Nuklearwaffenbesitzer, signifikant abzurüsten, strebt diese Koalition – kurz: "Humanitäre Initiative" – nun offenbar einen Verbotsvertrag für Nuklearwaffen an. Ein solcher ‚alleinstehender‘ Verbotsvertrag wäre wahrscheinlich recht kurz und würde die Herstellung und den Besitz, und somit auch den Einsatz von Nuklearwaffen, ein für allemal verbieten.

Die Bundesregierung, und mit ihr weitere nicht-nukleare Verbündete der USA , erkennen die humanitären Argumente der neuen Koalition zwar an, sie weisen aber deutlich darauf hin, dass wirkliche Abrüstung nur dann funktioniere wenn sich die Nuklearwaffenbesitzer auf einen entsprechenden gemeinsamen Weg verständigten. Ein Verbotsantrag, so das Argument dieser Gruppe, hätte letztlich nur symbolische Wirkung, da die Weltgemeinschaft Länder wie die USA, Russland oder China nicht zur Abrüstung zwingen könne. Um trotzdem das Fernziel einer nuklearwaffenfreien Welt nicht aus den Augen zu verlieren, bevorzugt die Bundesregierung einen Ansatz der "kleinen Schritte", die es den Nuklearwaffenstaaten erleichtern sollen, die Vorbedingungen zu signifikanten Einschnitten in ihre Waffenpotentiale zu schaffen. Vertragsgebundene Verhandlungen auf multilateraler Ebene, erhöhte Transparenzmaßnahmen, sich verstetigende Dialoge auf politisch-militärischer Ebene oder die Überprüfbarkeit der Abrüstung von Sprengköpfen sind zukünftige oder bereits teils umgesetzte Maßnahmen auf diesem Weg.

    Der NVV:
    ein wichtiger aber unvollständiger Vertrag

Das Problem ist, dass beide Seiten sowohl Recht, als auch Unrecht haben. Vor wenigen Wochen ging in New York die Überprüfungskonferenz des Nuklearen Nichtverbreitungsvertrags (NVV) ohne zählbares Ergebnis zu Ende. Nach einem vier-wöchigen Verhandlungsmarathon konnten sich die Vertragspartner nicht einmal auf ein inhaltlich gehaltvolles gemeinsames Abschlussdokument verständigen.

Dabei ist der NVV nicht irgendein Vertrag sondern das wichtigste multilaterale Abkommen zur nuklearen Abrüstung, zur Kooperation bei der zivilen Nutzung der Nuklearenergie und der Nichtverbreitung von Nuklearwaffen und dem damit verbundenen technischen Wissen. Bis auf Indien, Israel, Pakistan und die Republik Südsudan sind alle Länder der Erde Vertragsteilnehmer. Nordkorea stieg 2003 aus dem NVV unter äußerst umstrittenen Umständen aus.

Das Quidproquo des Vertrags baut zunächst auf einer sehr deutlichen Ungleichheit auf. Fünf Staaten – China, Frankreich, Großbritannien, Russland und die USA – ist es erlaubt, Nuklearwaffen zu besitzen jedoch nur unter der Konditionierung, Verhandlungen mit dem Ziel der kompletten Abrüstung anzustreben. Alle anderen Staaten verpflichten sich im Gegenzug, Nuklearwaffen niemals anzustreben. Um diese Nichtverbreitungs-Verpflichtungen zu garantieren, hat sich die internationale Gemeinschaft auf ein ausgeklügeltes Netz an Überprüfungsmechanismen, implementiert von der Internationalen Atomenergiebehörde in Wien, verständigt. Dieser Deal (Abrüstung für Nichtverbreitung) wurde 1968 geschlossen und 1995 für unbegrenzt gültig erklärt. Siebenundvierzig bzw. zwanzig Jahre später ist das große Versprechen des NVV noch immer nicht eingelöst. Die Mehrheit der NVV-Mitglieder verliert deshalb die Geduld und sucht nach alternativen Möglichkeiten.

Und an dieser Stelle setzt nun die Koalition der humanitären Initiative an. Sie hat gewichtige Argumente auf ihrer Seite. Zu Recht betonen ihre Vertreter, dass der NVV eine "rechtliche Lücke" aufweise, da der Vertrag eben nicht explizit Nuklearwaffen verbietet sondern fünf Staaten ein, wenn auch konditioniertes, Sonderrecht gewährt. Zu Recht führen sie weiterhin an, dass die Nuklearwaffenbesitzer ihren Verpflichtungen nur unzureichend nachkommen – die Zahl von rund 16.000 Nuklearsprengköpfen weltweit untermauert dieses Argument sehr anschaulich. Zu Recht unterstreichen sie, dass es zwar eine ganze Reihe von Überprüfungsmechanismen und (potentiellen) Sanktionsmaßnahmen gegenüber den Nicht-Nuklearwaffenstaaten gebe, gleichzeitig jedoch keine entsprechenden Instrumente zur Sicherstellung nuklearer Abrüstung bzw. zur Sanktionierung nicht erfolgter oder nicht ausreichender Abrüstung.

Zu Recht argumentieren sie, dass die fünf Besitzer nicht anderen Staaten Nuklearwaffen unter dem Hinweis auf deren sicherheitsgefährdenden Charakter verbieten können und gleichzeitig den eigenen Nuklearwaffenbesitz mit Verweis auf die eigenen Sicherheitsinteressen legitimieren können.

Letztlich geht es der Humanitären Initiative um eine Änderung des bestehenden Diskurses. Sie will weg von der Politik der "kleinen Schritte" und einer möglichen Vertröstung auf den ‚Sankt-Nimmerleinstag‘ und hin zu einer überprüfbaren und mit klaren zeitlichen Vorgaben versehenen Abrüstung. Ihr Ziel ist, den Druck auf die Nuklearwaffenstaaten und die mit ihnen militärisch verbündeten Staaten – wie beispielsweise Deutschland – zu erhöhen. Angesichts der nicht eingelösten vertraglichen Regelungen des NVV wähnen sie sich im Recht.

    Ein realistischer Blick auf die politische Lage

Recht haben heißt jedoch noch lange nicht, auch Recht zu bekommen. Und hier kommen die Argumente der Vertreter der "kleinen Schritte" ins Spiel. Zunächst verweisen diese auf die internationale Lage und die existierenden regionalen und globalen Spannungen. Zwischen Russland und den USA bzw. der NATO herrscht spätestens seit der völkerrechtswidrigen Annexion der Krim eine neue Eiszeit. Während Russland offensiv mit seinen nuklearen Potentialen droht, rufen die osteuropäischen NATO-Mitglieder nach militärischer Rückversicherung. Pakistan und Indien befinden sich in einem nuklearen Rüstungswettlauf. Israel verweigert jede Auskunft zum eigenen Nuklearwaffenprogramm und verweist auf die mannigfaltigen Unsicherheiten im Nahen Osten. Die berechtigte Frage der Vertreter der "kleinen Schritte" ist, wie eine komplette nukleare Abrüstung unter Ausblendung dieser komplexer Zusammenhängen überhaupt gelingen soll. Etwa per Dekret?

Gleichzeitig betonen die Vertreter der "kleinen Schritte" – genau wie die Nuklearwaffenbesitzer – zu Recht den sicherheitspolitischen Mehrwert des NVV. Auch wenn der Vertrag offensichtlich eine extreme Schieflage zu Ungunsten der nuklearen Abrüstung aufweist, hat sich seine einhegende Wirkung bei der Nichtverbreitung von Nuklearwaffen doch bewiesen. Die ursprüngliche Befürchtung von U.S.-Präsident Kennedy, dass bereits im Jahre 1964 weltweit bis zu 20 Nuklearwaffenstaaten existieren könnten hat sich, auch Dank des NVV, nicht bewahrheitet. Während Nordkorea dem Vertragswerk entschlüpfte, konnte der Iran vor Kurzem wieder ‚eingefangen‘ werden. Diese äußerst positiven Aspekte des NVV könnten, so die Befürchtung, auf dem Spiel stehen, würde sich eine Mehrheit der NVV-Mitglieder nun einem Verbotsvertrag zuwenden. Es bestünde die Gefahr, einen wichtigen aber unvollständigen Vertrag gegen einen komplett impraktikablen Vertrag einzutauschen.

Dabei unterschätzen Staaten wie die Bundesrepublik jedoch zu oft den Grad der Frustration der NVV-Mehrheit ob des offensichtlichen Unwillens der NVV-Minderheit, deutlich abzurüsten. Die Liste der zulässigen Beschwerden ist lang. Die Genfer Abrüstungskonferenz, das wichtigste Gremium der Vereinten Nationen zur Abrüstung, ist seit Jahren arbeitsunfähig. Nicht einmal ein gemeinsames Arbeitsprogramm kam zustande. Seit 1996 harrt der Nukleare Teststoppvertrag – ein zusätzliches Abkommen zur nuklearen Abrüstung – seines Inkrafttretens, da Länder wie bspw. die USA ihn nicht ratifizieren. Ein Vertrag über die Regulierung von spaltbarem Material ist bis heute nicht in Sicht. Eine Konferenz über eine Massenvernichtungswaffen-freie Zone im Nahen Osten wurde zwar 1995 versprochen aber bis heute nicht umgesetzt. Gleichzeitig modernisieren alle Nuklearwaffenstaaten ihre Inventare – teils mit einem Zeithorizont von 40 Jahren. Allein die USA werden nach Schätzungen in den nächsten 30 Jahren bis zu eine Billion US-Dollar (1.000.000.000.000) für ihr Arsenal ausgeben. Vor diesem Hintergrund erscheint die jüngste Präsentation eines gemeinsamen Glossars zu nuklearen Definitionen – von den fünf NVV-Nuklearwaffenstaaten als Abrüstungsschritt gepriesen – wie blanker Hohn.

Wie soll es also weitergehen? Ist es Zeit für einen knappen aber deutlichen Vertrag zum Verbot von Nuklearwaffen oder sollte den "kleinen Schritten" angesichts der schwierigen Weltlage (noch) mehr Zeit eingeräumt werden? Nach der gescheiterten NVV-Überprüfungskonferenz ist noch nicht absehbar, wie es vor allem mit der humanitären Initiative weitergehen soll. Beide Seiten wären jedoch gut beraten, aufeinander zuzugehen. Ein möglicher Mittelweg könnte in der Komplementarität beider Ansätze bestehen.

    Juristische Bedenken

Zunächst einmal ist es wichtig, eine Reihe legalistischer Implikationen eines möglichen alleinstehenden Verbotsvertrags zu berücksichtigen. Ausgehend vom humanitären Völkerrecht spricht zunächst vieles für einen Verbotsvertrag. Nuklearwaffen machen eine Unterscheidung zwischen Kombattanten und Nicht-Kombattanten unmöglich, sie berühren zivile und kulturelle Objekte, wirken über Staatsgrenzen hinaus und verursachen unnötiges Leid. Die Nuklearwaffenstaaten bestreiten die extremen negativen Effekte eines Nuklearwaffeneinsatzes zunächst gar nicht. Sie argumentieren aber, dass genau weil die Folgen eines Einsatzes so gravierend wären, sie an der gegenseitigen Abschreckung festhalten müssten.

Aus juristischer Sicht bietet sich ihnen eine ganze Reihe von Argumenten, um einen Verbotsvertrag als nicht gültig abzulehnen. Das moderne humanitäre Völkerrecht fußt zunächst auf den Genfer Abkommen von 1949, die nach den Gräueln des Zweiten Weltkriegs den Umgang und den Schutz von Kombattanten und Zivilpersonen im Kriegsfall regelten. 1977 wurden diese Regelungen anhand mehrerer Zusatzprotokolle weiter spezifiziert. So regelt beispielsweise das erste Zusatzprotokoll von 1977 den Schutz der natürlichen Umwelt vor ausgedehnten, lang anhaltenden und schweren Schäden durch die Kriegsführung. Die USA, Israel, Indien und Pakistan haben diese Zusatzprotokolle entweder gar nicht oder nur teilweise ratifiziert. Eine ganze Reihe von Ländern – darunter die Bundesrepublik – haben Vorbehaltserklärungen zu den Protokollen eingereicht und betont, dass Ihre Anwendung nicht auf Nuklearwaffen zutreffe.

Dies schwächt zunächst die juristische Argumentation entlang der Linien des humanitären Völkerrechts deutlich, da es offensichtlich keinen allgemein akzeptierten Grundkonsens gibt. Im Gutachten des Internationalen Gerichtshof (IGH) zur Rechtmäßigkeit der Drohung mit oder des Einsatzes von Nuklearwaffen aus dem Jahr 1996 konnten die Richter außerdem nicht definitiv feststellen, ob ein Nuklearwaffeneinsatz unter dem extremen Umstand der Selbstverteidigung rechtens oder Unrecht sei. Somit ließen die Richter den Nuklearwaffenstaaten eine kleine aber wichtige Interpretationslücke. Hinzu kommt erneut, dass zum Beispiel die USA die juristische Hoheit des Gerichtshofs gar nicht erst anerkennen, was die Universalität einer möglichen Neubewertung dieses Gutachtens durch den IGH auch zukünftig einschränken würde. Die Hoffnung vieler Befürworter auf die mögliche Etablierung von Völkergewohnheitsrecht durch einen Verbotsvertrag steht ebenfalls auf wackligen Füßen. Juristen argumentieren, dass bereits eine regelmäßige und öffentliche Widerspruchsbekundung, zum Beispiel mittels offizieller Nukleardoktrinen, die die Notwendigkeit des Prinzips nuklearer Abschreckung unterstreichen eine solche Etablierung verhindern würde.

    Ein komplementärer Ansatz:
    Etablierung einer dritten Norm

Während die politischen Aussichten der Universalisierung eines alleinstehenden Verbotsvertrags also bereits mittelfristig mehr als düster sind, geraten auch die juristischen Argumente bei näherer Betrachtung mindestens ambivalent. Dabei gäbe es durchaus politischen als auch juristischen Spielraum.

So könnten die Vertreter der Humanitären Initiative statt eines Verbotsvertrags eine Nuklearwaffenkonvention anstreben, die zunächst ‚nur‘ den Ersteinsatz von Nuklearwaffen verbieten würde. Als Vorbild könnte das bestehende Chemiewaffenverbot dienen. In den Genfer Protokollen von 1925 hatten sich die Vertragsparteien zunächst darauf verständigt, den Ersteinsatz dieser Waffen im Krieg zu ächten. Die mögliche Vergeltung mit Chemiewaffen blieb fürs Erste legal. 1992 einigte sich dann die internationale Staatengemeinschaft auf eine umfassende Konvention, die eine ganze Reihe phasierter Abrüstungs- und Verifikationsschritte, und somit letztlich die vollständige Eliminierung von Chemiewaffen, vorsah. Dieser Weg erwies sich als (weitestgehend) erfolgreich.

Angewandt auf Nuklearwaffen könnte dies bedeuten, dass zunächst die Etablierung einer dritten Norm des "Nicht-Ersteinsatzes" neben den bereits bestehenden Normen der "Nichtverbreitung" und der "Abrüstung" (gedeckt durch den NVV) angestrebt würde. Diese dritte Norm könnte dann der Vorbereitung der finalen vierten Norm des "Verbots" dienen. Politisch könnte eine solche dritte Norm bspw. auf bereits bestehenden Erklärungen Chinas zum Nicht-Ersteinsatz von Nuklearwaffen aufbauen. Theoretische Vorarbeiten, wie die seit 1995 entwickelte Modell-Nuklearwaffenkonvention, könnten einen formellen Ausgangspunkt darstellen.

Staaten wie die Bundesrepublik, die bisher eine Politik des sowohl-als-auch – also sowohl Abrüstungsbefürworter, als auch Mitglied in einem nuklearen Bündnis – verfolgten, könnten einen solchen Weg dadurch unterstützen, dass sie an den Verhandlungen zur Etablierung einer dritten Norm teilnehmen und ihre Vorbehaltserklärungen zu den Genfer Protokollen von 1977 zurückziehen. Auch ein erneutes Gutachten des IGH unter den dann veränderten Bedingungen wäre denkbar.

Die Vertreter der Humanitären Initiative könnten im Gegenzug beweisen, dass sie sich den politischen und rechtlichen Hürden nicht blind verschließen und die weitere Gültigkeit des NVV als einem immanenten Instrument nuklearer Ordnung anerkennen und weiter unterstützen. Der Druck auf die Nuklearwaffenstaaten könnte gleichsam auch auf diesem Weg zunehmen, wenn es gelingt, ihre nicht-nuklearen Alliierten in den Prozess einzubinden.

Die kommenden fünf Jahre bis zur nächsten Überprüfungskonferenz des NVV werden zeigen, welche Richtung die Bemühungen um weitere nukleare Abrüstung nehmen werden. Dass Soh Horie noch zu Lebzeiten die generelle Abschaffung aller Nuklearwaffen erleben wird, ist aus heutiger Sicht leider sehr unwahrscheinlich. Gleichwohl sollten wir uns seiner Botschaft stets erinnern. Eine Botschaft, die das Prinzip Hoffnung in den Mittelpunkt stellt und der Menschheit ein klares zukünftiges Ziel vorgibt: die Schaffung einer Welt ohne Kernwaffen.@

"Das Prinzip Hoffnung" bei externer Link boell.de/de/2015/08/04/das-prinzip-hoffnung

 

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