Ein weiterer Krieg um Bodenschätze und imperiale Macht?

Putsch in Niger

eine Zusammenstellung von aaaRed

Dass die EU ein großes Interesse an Niger hat und insbesondere an der Wiedereinsetzung der abgesetzten Regierung des Präsidenten Mohamed Bazoum, erklärt sich leicht: Niger ist wichtigste Exporteur von Uran nach Frankreich und Europa. Außerdem ist Niger essenziell, wenn es um Migrationsströme aus Afrika geht, die Europa unterbinden will.

Der französische Präsident, Emmanuel Macron erklärt, jegliche Angriffe auf französische Interessen würden eine "schnelle und kompromisslose Antwort" auslösen. "Interessen" hat Frankreich in Niger reichlich.

    Frankreichs Interessen in Niger

Der französische Atomkonzern Orano (zuvor Areva) hat Zugriff auf nigrische Uranreserven an 3 Standorten: SOMAIR bei Arlit, COMIAK in Akouta, Akola und Ebba und zukünftig in IMOURANEN. Zur Zeit wird nur in SOMAIR Uran abgebaut.

Etwa 140.000 t Uran sind von Orano insgesamt bisher in Niger abgebaut worden. Im Jahr 2021 produzierte Orano 2.248 Tonnen Uran, was etwa 5 % der weltweiten Uranproduktion entspricht. Die derzeitige Produktion stammt aus dem Tagebaubetrieb von SOMAÏR in der Nähe der Stadt Arlit. 10 bis 30% (je nach Quelle) der französischen AKWs werden mit Brennelementen aus nigrischem Uran betrieben. Frankreich hat den größten Nuklearpark der Welt und bezieht bis zu 80% seines Stroms aus Atomenergie.

Niger ist auch einer der Hauptlieferanten von Uran für die Europäische Union. Nach Angaben der Euratom-Versorgungsagentur (ESA) kauften die Versorgungsunternehmen der EU im Jahr 2021 2.905 Tonnen Uran aus nigrischer Produktion. Dies entspricht etwas mehr als 24 % der EU-Uraneinfuhren, womit Niger knapp vor Kasachstan die wichtigste Uranquelle der EU ist. Nach Angaben der Weltbank ist Uran nach Gold das zweitgrößte Exportgut Nigers, gemessen am Geldwert.

Leider scheint trotzdem bis heute kaum Geld aus dem Minengeschäft bei der Bevölkerung anzukommen. Der Unmut über die alte Regierung ist groß. Rund 40 Prozent der 26 Millionen Einwohner*innen des Landes leben in extremer Armut. Auf dem Human Development Index nimmt Niger den 189. Platz von 191 Ländern ein. Manche machen immer noch die Arbeits- und Besitzverhältnisse des Uransektors dafür verantwortlich und nennen diese korrupt. Zum Abschöpfen der Profite kommt zudem auch die Auslagerung der Schäden durch den Bergbau auf die Bevölkerung. In der Uranregion Arlit leiden viele Menschen an Krankheiten durch den gelben Staub. Anders als europäische Minenarbeiter*innen können sie jedoch keine Wiedergutmachung fordern.

    Unzufriedenheit der Bevölkerung

Die Unterstützung der Putschisten durch die nigrische Bevölkerung ist nicht mit der Agenda der Putschisten zu begründen, sondern mit einer großen Unzufriedenheit mit dem Status quo, mit einer Destabilisierung des Landes." sagt Olaf Bernau von "afrique-europe-interact". Bewohner*innen der Region fühlen sich durch zunehmende militärische Präsenz westlicher Länder bedroht. Allenthalben ist von Machtmissbrauch, Korruption und Straflosigkeit die Rede. Vor allem das dominante Gebaren der ehemaligen Kolonialmacht Frankreich wird massiv angeprangert. "Für Teile der Bevölkerung ist der Putsch zumindest ein Bruch und damit die Chance auf einen Neuanfang", sagt Bernau.

Die aktuellen Proteste werden überwiegend von der M62 angeführt, einer zivilgesellschaftlichen Bewegung, die schon in der Vergangenheit gegen die französische Militärpräsenz demonstrierte, in der Bevölkerung aber nicht unumstritten ist.

    Militärische Interessen -
    Niger: der letzte Anker
    im Sahel

Neben den wirtschaftlichen Interessen dürften die militärischen Interessen Frankreichs, aber auch der anderen westlichen Länder, am schwersten wiegen. Seit Mali und Burkina Faso Frankreich und der EU diesbezüglich die kalte Schulter zeigten, wurde der Niger der "Stabilitätsanker" des Westens in der Region. Als die französische Barkhane Mission Mali verlassen musste, zog sie sich zuerst nach Niger zurück. Dort unterhält Frankreich schon länger zusammen mit der deutschen Bundeswehr ein Luftdrehkreuz nahe der Hauptstadt Niamey. Nachdem auch die militärische Europäische Ausbildungssmission EUTM-Sahel Mali verlassen hatte, sollte sie sich nun auf den Niger konzentrieren.

Seit einer "Kapazitätsbildungsmission" der EU, genannt "EUCAP Sahel Niger" aus dem Jahre 2012 erhöhte sich die Militärpräsenz in Niger beständig. Die neue Militärmission von 2022, die "EU Partnership Mission Niger", ergänzte diese nun. Im Dezember 2022 haben die EU-Außenminister diese "Mission" beschlossen, die eine "Stabilisierung" der Sahelzone vorsieht. Konkret geht es dabei um die Ausbildung nigrischer Soldat*Innen und Lieferungen von schweren Waffen, vor allem für die Luftstreitkräfte. Ab 2023 soll europäische Militärunterstützung in einem der am ärmsten gemachten Länder der Welt geleistet werden.

Der Einsatz verfolgt drei Ziele: Kampf gegen Terrorismus, Kampf gegen Migration nach Europa – denn Niger ist ein wichtiger Knotenpunkt von Migration in Nordafrika –, und Absicherung der Uran-Rohstoffquellen, die europäische – vor allem französische – AKWs am Laufen halten.

Der Ressourcenhunger Europas will weiter befriedigt werden, doch die Folgen der imperialen Produktions- und Lebensweise sollen bitte draußen bleiben. Migration soll mit dem Einsatz von Militär abgeblockt und nigrische Truppen beim Kampf gegen den Terrorismus ausgebildet werden, einem Phänomen das als Folge imperialistischer Interventionen massiv verstärkt worden ist. Der Einsatz soll drei Jahre lang dauern und wird durch den Geldtopf "Europäische Friedensfazilität (EPF)" finanziert. Wie es in der im Mai 2023 veröffentlichten neuen Sahelstrategie der Bundesregierung ausgedrückt wurde, soll sich dadurch ein "Stabilitätsbogen" um die beiden von Putschisten regierten und sich Russland annähernden Nachbarländer, Mali und Burkina Faso, bilden.

Dies steht nun ebenso auf wackeligen Füßen, wie die sich noch in Kinderschuhen befindende EU Military Partnership Mission in Niger (EUMPM Niger), in der die EUTM-Sahel aufgehen sollte und für welche die Bundesregierung erst im April 60 Personen mandatierte. Bisher scheinen aber nur drei Verbindungsoffiziere für diese Mission im Land zu sein. Dazu kommen wohl rund 100 deutsche Soldat*innen, die am Luftdrehkreuz stationiert sind und eventuell einige Spezialkräfte, die (eigentlich nur) zur Ausbildung der nigrischen Spezialkräfte im Land sein sollten – letztere wirkten aber am Putsch mit. Für Deutschland ist die nigrische Basis besonders wichtig, um den Rückzug der 800 sich im Rahmen der UN-Mission MINUSMA in Mali aufhaltenden Soldaten durchzuführen, und dabei eine Rettungskette zu behalten. Auch Italien soll noch rund 300 Militärs im Land haben.

Frankreich hat noch rund 1.500 von der Opération Barkhane verbleibende Soldat*innen in dem Land stationiert und dadurch nicht nur vitales Interesse an deren Wohlergehen, sondern auch schlagkräftige Argumente, seine Interessen durchzusetzen. Zudem hat die USA zwei Militärstützpunkte, davon eine Drohnenbasis, wo insgesamt rund 1.000 US-Soldat*innen untergebracht sind.

    Militärische Missionen
    und die europäische
    Migrationsbekämpfung

Bei alle diesen militärischen "Missionen" darf nicht vergessen werden, dass der Niger auch eine Schlüsselrolle in der europäischen Migrationsbekämpfung spielt. Er liegt zentral auf der Route nach Libyen und Algerien und war zudem in den letzten Jahren williger Helfer, nicht nur in der Festnahme von Migrant*innen, sondern auch in der Rücknahme und Ansiedlung von aus Algerien und Libyen rückgeführter Migrant*Innen. Ausgerechnet in einem sich stetig verschlechternden Dauerzustand, in dem "die Menschen im Niger mit Armut, Hunger, Dürre oder Überschwemmungen als Folge des Klimawandels zu kämpfen haben, kündigt die EU eine Militärmission an", so Azizou Chehou vom Alarm Phone Sahara-Netzwerk. Dass die EU mit diesem Einsatz plane, Migration weiter zu bekämpfen, klinge für ihn wie ein Albtraum: "Wir leben in einer Welt, in der ihre schwächsten Bewohner*Innen zurückgelassen werden, während die Mitgliedsländer der EU Privilegien genießen. Ich habe das Gefühl, dass die EU-Bürger*Innen auf dieser von uns allen geteilten Erde volle Rechte haben, im Gegensatz zu Menschen aus Ländern wie dem Niger, die keinerlei Schutz erfahren. Die Welt wird von Heuchlern angeführt, die andere zum Hungertod verdammen. Sie sorgen dafür, dass wir verelenden, und dann dürfen wir dem noch nicht einmal entfliehen. Jede militärische Zusammenarbeit, sei sie auch nur ‚Mission‘ genannt, ist eine neue Strategie der Rekolonisierung unserer Länder, die nicht mehr selbst über ihr Schicksal und ihre Ressourcen bestimmen können."

    Verschärfung der Situation durch Antimigrationsgesetz "2015/036"

Dazu kommt. daß sich die Situation für die Menschen in Niger durch Nigers Antimigrationsgesetz "2015/036" drastisch verschlechtert hat. Verabschiedet auf Druck der EU, richtet es sich offiziell gegen Menschenhandel, de facto kriminalisiert es jegliche Unterstützungsleistungen für Migrant*Innen. Die Wüstenpassage Richtung Norden wurde dadurch komplizierter, teurer und gefährlicher, zudem musste Agadez empfindliche ökonomische Verluste hinnehmen. Hauptleidtragende sind all jene, die zuvor für die jährlich mehr als 100.000 Transitmigrant*Iin­nen Dienstleistungen erbrachten, also Transport, Unterbringung oder Verpflegung. Insgesamt sollen rund 9.000 Menschen ihre Existenzgrundlagen verloren haben, manche sind sogar im Gefängnis gelandet.

Offiziell stabilisiert die von Brüssel geplante EU-Militärmission im Niger die Sahelzone. Tatsächlich soll sie den europäischen Energie- und Ressourcenhunger sichern.

    Sanktionen der EU und der Wirtschaftsgemeinschaft Westafrikanischer Staaten.

Die Weltbank stellt Zahlungen ein. Die Stromzufuhr wird begrenzt und es wird mit militärischen Mitteln gedroht. Spielt die Bevölkerung keine Rolle?

Am 3. August feierte Niger seine Unabhängigkeit. Seit dem 3. August 1960 ist die Republik Niger von Frankreich unabhängig. An diesem symbolischen Tag zeigt sich sehr deutlich, wie abhängig das Land (Platz 189 von 191 auf dem Entwicklungs-Index der UN) von äußeren Mächten ist.

Seit dem Putsch wurden Sanktionen der EU verhängt, wie auch von der Ecowas, die Weltbank setzt Auszahlungen aus und Nigeria hat die wichtige Stromzufuhr nach Niger unterbrochen, Lastwagenfahrer sitzen fest, die Versorgung des Landes wird schwierig. In sozialen Netzwerken heißt es, dass Geldautomaten in der Hauptstadt nichts mehr ausgeben und sich die Lebensmittelpreise rasant verteuern.

Wird da einem Land, und eben nicht nur den Machthabern, mit Methoden zu Leibe gerückt, die man in anderen Konflikten, wenn dies die Gegner der regelbasierten Ordnung betreiben, "aushungern" nennt?@

Quellen:
perspektive-online.ne
medico.de
nd-aktuell.de
telepolis.de

 

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